Der verletzte Mensch (German Edition)
die meisten kommen mit starken Angstgefühlen: Angst, dass der aufgebaute Status in der Firma weg sein könnte, das hart erarbeitete Vermögen zu verlieren oder überhaupt zu scheitern. Männer sind sehr stark am Status verhaftet, haben kein festes Inneres und vermeintliche oder tatsächliche Verluste treffen sie daher in ihrer Existenz und Identität. Wir alle kennen aus den Medien die extremen Fälle von Männern in Japan, die ihrer Familie den Jobverlust oft jahrelang verschweigen, jeden Morgen pünktlich das Haus verlassen, um den ganzen Tag auf der Straße zu verbringen und abends zurückzukehren und aus dem Büro zu erzählen. Wenn alle Ersparnisse verbraucht sind, enden diese Geschichten manchmal sogar tragisch im Suizid. Das alles aus Scham, der Familie die Wahrheit zu sagen.
Ein kleines Mädchen ist verurteilt, die niedrigsten Arbeiten zu verrichten, gequält von ihren Stiefschwestern und gedemütigt von der Stiefmutter. Geduldig erträgt es dieses Leiden, bis es eines Tages von einem Prinzen entdeckt wird. Nachdem es einige schwierige Aufgaben wie das Anziehen teuflisch enger Schuhe und die Bewährung bei einem heiklen Empfang bestanden hat, holt es der Prinz auf sein Schloss, sie heiraten und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Aschenputtel heißt dieses Märchen in Deutschland. Walt Disney hat es wunderbar als Cinderella für die ganze Welt verfilmt. Die Geschichte gibt es aber fast in allen Kulturen und sie ist so erfolgreich, dass wir sie offensichtlich immer wieder sehen wollen. Ob sich die Frau als Prostituierte in „Pretty Woman“ oder als Zimmermädchen in „Manhattan Love Story“ ihren Prinzen erobert, ist dabei nur eine Frage der Dramaturgie. Als sich die Cinderella-Geschichte mit Lady Di in der Hauptrolle im Buckingham-Palast tatsächlich in der Realität abspielte, traf sie die ganze Welt ins Herz. Nicht einmal die böse Schwiegermutter fehlte. Im realen Leben endete die Geschichte nur leider nicht an der richtigen Stelle nach 90 Minuten wie auf der Leinwand.
Der Traum vom Prinzen, der alles gutmacht, einen beschützt und versorgt, ist trotzdem noch lange nicht ausgeträumt. „Wie Aschenputtel im Märchen, wartet auch die heutige Frau noch auf den rettenden Prinzen“, schrieb Colette Dowling in ihrem heiß diskutieren Bestseller „Der Cinderella-Komplex: Die heimliche Angst der Frauen vor der Unabhängigkeit“. Die Wartezeit auf den Prinzen vertreibt sich die moderne Frau mit dem Küssen vieler Frösche und amüsiert sich königlich, wenn sie anderen dabei in „Sex and the City“ zusieht.
Warum Männer und Frauen unterschiedlich mit Verletzungen umgehen
Vom Mann wird einmal primär erwartet, dass er bei Verletzungen darüber steht. So sieht er sich auch in seinem Selbstbild. Der Frau wurde dagegen immer die „Depression“ eingeräumt, wenn es ihr schlecht ging. Eine Frau darf über eine lange Periode depressiv sein und bekommt dann legal Psychopharmaka. Frauen teilen ihre emotionale Stimmung auch viel eher an ihrem Arbeitsplatz ihren Kolleginnen mit: „Heute geht es mir wirklich schlecht“, was Männer nach wie vor so nicht machen würden. Frauen fesseln sich auch sehr gerne selbst in der Opferrolle und üben sich in Schuldzuweisung: „Mein Vater war schon so, ich suche mir daher immer genau diesen Männertypus aus, die sind so.“ Männer gestehen sich heute mehr Raum für ihre Emotionen zu, ohne sich als Schwächling zu sehen. In den letzten 20 Jahren hat sich ungemein viel verändert. De facto leiden Männer unter Verletzungen natürlich genauso und sie sind für sie nicht leichter zu ertragen als für Frauen. Männer suchen bei schweren emotionalen Problemen das Gespräch mit Freunden und erkennen eher, wenn sie zum Beispiel eine Trennung nicht allein verarbeiten können und die Hilfe von einem Therapeuten benötigen. Das wäre früher fast undenkbar gewesen.
Sprechstunden der Seele – Männer und Frauen beim Therapeuten
„Kommen Männer in Therapie, testen sie zuerst die Kompetenz des Therapeuten. Dahinter steckt die Frage, ob es der Therapeut auch wirklich wert ist, dass man seinen großen Schmerz gerade mit ihm teilt und ihm dafür auch noch Geld zahlt. Währenddessen kommen Frauen, die sich offenbaren wollen, schon als Leidende durch die Türe und haben keinerlei Scheu, sofort mit der Arbeit zu beginnen. Männer wollen den Arbeitsvertrag mit dem Therapeuten genau definieren, Frauen bringen ihn schon mit der Blankounterschrift mit. Wenn die Männer sich
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