Der verletzte Mensch (German Edition)
seinen Charakter weiterzuentwickeln, kann zwar kurzfristig sogar Vorteile bringen, langfristig führt dieser Weg fast immer in den Abgrund. Das ist kein moralisches Urteil, sondern ein Faktum, das durch eine lange Liste von Menschen, die herausragendes Talent und einen miesen Charakter hatten, belegt ist. Bernhard Madhoff, ein ehemals gefeiertes Finanzgenie, zog mit unglaublichen 50 Milliarden Dollar Anlegergeldern ein Pyramidenspiel auf, das im Dezember 2008 zusammenbrach. Er steht jetzt zweifellos ganz weit oben auf dieser Liste. „Es gibt Leute, deren Herzen gerade in dem Grad einschrumpfen, als ihre Geldbörsen sich erweitern“, hat Aldous Huxley einmal gesagt.
Charakter kann nicht geerbt, nicht gekauft werden, er kann nicht gewogen werden und man kann ihn auch nicht angreifen. Er muss langsam gebildet werden – und es ist nie zu spät dafür.
Auch heute gibt es noch genug Beispiele für den „Paulus-Effekt“: Michael Milken, der Erfinder der Junk-Bonds, der wegen Betrugs einige Jahre im Gefängnis sitzen musste, leitet heute mit dem Milken Institute eine der erfolgreichsten privat finanzierten Krebsforschungs-Organisationen. Auslöser dafür war, dass nach seiner Entlassung eine ganz seltene und besonders bösartige Krebsform bei ihm diagnostiziert wurde. Er bestand auf dem Einsatz aller möglichen, auch noch nicht zugelassenen Medikamente und besiegte den Krebs gegen alle Prognosen. Danach setzte er seine hohe Intelligenz und seine extreme Willenskraft für den Kampf gegen den Krebs ein.
Talententwicklung als eine Frage des Überlebens
Ihre Mutter wurde hingerichtet, als sie noch keine drei Jahre alt war, sie wurde zum Bastard erklärt und von der Thronfolge ausgeschlossen, später vom Parlament wieder eingesetzt. Sie wurde des Hochverrats verdächtigt und in den Tower gesperrt, dann unter Hausarrest gestellt und lebte ständig in der Gefahr, einer neuen Anklage ausgesetzt zu werden. Nach dem Tod ihrer kinderlos gebliebenen Halbschwester Maria I. wurde Elisabeth am 15. Januar 1559 im Alter von 25 Jahren in der Westminster Abbey zur Königin von England und Irland gekrönt. Zu diesem Zeitpunkt lag die Wirtschaft des Landes völlig danieder und England wurde von den beiden Großmächten Spanien und Frankreich ständig in Kriege verwickelt. Auch innerhalb des eigenen Landes sah sich Elisabeth I. starken Widerständen ausgesetzt, sowohl vom Parlament als auch von Zeitgenossen wie John Knox, der die Herrschaft einer Frau als gegen den Willen Gottes gerichtet sah.
Die Entwicklung hoher sozialer Kompetenzen wie das präzise Beobachten anderer, die Fähigkeit, genau zuzuhören, hinter Gesichtern wahre Absichten zu erkennen, selbst geduldig den richtigen Augenblick zum Handeln abzuwarten, Koalitionen einzugehen und zu wechseln, ständige Gerüchte von tatsächlichen lebensbedrohlichen Gefahren unterscheiden zu können, war für Elisabeth von frühester Kindheit an eine Frage des Überlebens. Zusätzlich verfügte sie über ein hohes Sendungsbewusstsein und große innere Stärke, die ihr all die Demütigungen und ständigen Gefahren bis zu ihrer Thronbesteigung ertragen halfen. Am Ende ihres Lebens stand mit 45 Jahren eine der längsten und fruchtbarsten Herrscherperioden in der Geschichte, in der die Grundlagen für das britische Weltreich gelegt wurden.
Bedenkt man, dass Elisabeths Gegenspielerin Maria Stuart bereits sechs Tage nach ihrer Geburt zur Königin von Schottland bestimmt und sechs Monate später die Hochzeit mit dem zukünftigen König von England beschlossen wurde, dann kann man erst ermessen, aus welcher viel schlechteren Ausgangssituation Elisabeth sich letztlich durchgesetzt hat. Elisabeth I. ist nicht nur ein Beispiel für erfolgreiches weibliches Führungstalent, sondern auch dafür, wie man genau die in der Kindheit zum Überleben entwickelten Fähigkeiten im späteren Leben erfolgreich nutzen kann.
„Ich weiß, ich habe den Körper einer schwachen, kraftlosen Frau, aber ich habe das Herz und den Magen eines Königs, eines Königs von England“, rief sie mit Brustpanzer und Helm bekleidet ihren Truppen zu, bevor sich diese den angreifenden Spaniern in Tilbury entgegenwarfen. Gespür für geschichtsträchtige Inszenierungen hatte sie auch, die „Jungfräuliche Königin“ von England.
Warum in unserer tiefsten Verletzung unser größtes Talent liegen kann
Wie unterscheide ich die vielen kleinen Kränkungen und Enttäuschungen von jener Verletzung, die mein tiefstes Inneres so schwer
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