Der verletzte Mensch (German Edition)
Schirmherren Persönlichkeiten wie die Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter und Desmond Tutu gehören, belegen ebenfalls diese positiven Wirkungen.
Vergeben ist weiblich – oder?
Als Fred Luskin begann, freiwillige Teilnehmer für sein „Stanford University Forgiveness Project“ zu suchen, stellte sich heraus, dass 80 Prozent der Interessenten an diesem Thema Frauen waren. Zwei Antworten für dieses Phänomen drängen sich auf: Erstens, Vergebung ist einfach ein emotionales Thema, das primär Frauen anspricht. Zweitens, die Täter sind einfach viel öfter Männer und daher gibt es mehr Frauen, die als Opfer leiden. Beide Antworten dürften falsch sein.
Nicht das Thema dürfte ein primär weibliches Bedürfnis sein, sondern das Wort Vergebung dürfte einfach abschreckend für viele Männer sein, sich damit auseinanderzusetzen. Als Luskin, der unbedingt eine gleiche Verteilung von Männern und Frauen in seinen Studien haben wollte, die Aufrufe für Freiwillige auf „Menschen, die einen tiefen Groll gegen jemanden haben“, änderte, meldeten sich sofort mehr Männer. Die Fähigkeit, sich mit sich selbst versöhnen zu können, betrifft Frauen und Männer gleichermaßen und ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für ein glückliches Leben.
Vor dem Radarschirm unserer Gedanken
Fluglotsen sind enormem Stress ausgesetzt. Sie müssen die vielen unbedeutenden Signale auf ihrem Schirm von den ganz wenigen kritischen unterscheiden. Stellen wir uns vor, dass einige dieser Flugzeuge auf unserem Schirm genau die unbewältigten negativen Gefühle aus unserer Vergangenheit verkörpern. Viele andere Flugzeuge sind schon gelandet oder gerade im Landeanflug. Nur einige Objekte, die unsere Wut, unseren Schmerz und unsere Trauer tragen, konnten bisher nicht landen – sie kreisen seit Wochen, Monaten und Jahren auf dem Schirm. Sie nehmen kostbaren Luftraum für die anderen Flugzeuge weg und sie binden Teile unserer Aufmerksamkeit, die wir dringend für wichtigere Dinge brauchten. Je mehr sich gerade am Himmel unserer Gedanken tut, umso mehr Stress haben wir. Wir machen diese Flugzeuge, die nicht landen können, für diesen Stress, für unsere Überforderung verantwortlich. Vergebung ist die Entscheidung, sie landen zu lassen und unsere Aufmerksamkeit auf die Aufgaben der Gegenwart konzentrieren zu können, statt ständig die Vergangenheit kontrollieren zu müssen.
Vergeben macht gesund – Groll macht krank
Fred Luskin leitete selbst vier umfassende Studien, die klar die positiven Effekte der Fähigkeit, zu vergeben, zeigten. Ähnliche Forschungen auf diesem Gebiet bewiesen den positiven Einfluss von Trainingsprogrammen zur Vergebung bei Gruppen, wie von ihren Eltern weggelegte Kinder, alte Menschen, die sich vernachlässigt fühlten, in ihrer Kindheit missbrauchte Frauen und Menschen mit betrügenden Partnern. Medizinische Studien dokumentierten die langfristige Schädigung des Herz-Kreislauf-Systems durch jahrelang nicht bewältigte Gefühle von Ärger und Feindseligkeit. [19] Wut und Zorn waren eindeutig die Emotionen, die die negativste Auswirkung auf die Gesundheit hatten. Eine besonders faszinierende Studie zeigte, dass es schon reichte, wenn man fünf Minuten an etwas dachte, das einen besonders ärgerte, um den Herzrhythmus negativ zu beeinflussen. Eine Erfahrung, die jeder sicher selbst schon gemacht hat. Man kann sich daher leicht vorstellen, welchen Einfluss Wut, Zorn und Hass, die jahrelang aufgestaut werden, auf unser ganzes Leben haben.
Der Prozess der Versöhnung beginnt mit einer Zwei-Millionen-Euro-Frage
Den stärksten Widerstand haben wir dann zu überwinden, wenn wir überzeugt sind, dass die Verletzung, die uns jemand zugefügt hat, so schwerwiegend ist, dass sie prinzipiell nicht vergeben werden kann – schon aus Gründen der höheren Gerechtigkeit nicht. Stellen Sie sich jetzt einmal vor, wenn Ihnen jemand zwei Millionen Euro anbieten würde, wenn Sie sich in zwei Minuten entscheiden würden, trotzdem zu vergeben. Wenn Sie kurz nachdenken, werden Sie schnell zu dem Schluss kommen, dass Sie ein ziemlicher Dummkopf wären, wenn sie ein Leben in finanzieller Sicherheit und Unabhängigkeit nicht gegen das Privileg, weiter leiden zu dürfen, eintauschen würden. Und dazu hätten Sie die Möglichkeit, viel Gutes für andere Menschen zu tun, denen Ähnliches passiert ist. Ein wesentlich unfreundlicheres Angebot wäre, wenn Ihnen jemand eine Pistole an den Kopf setzen und Ihnen die Alternativen: sofort
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