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Der verletzte Mensch (German Edition)

Der verletzte Mensch (German Edition)

Titel: Der verletzte Mensch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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Verbündeten, der uns das Vergeben erleichtert – die Zeit.
    Die Zeit heilt alle Wunden
    Die zitierten Studien bestätigten die Weisheit, dass alte Wunden im Laufe der Zeit weniger schmerzen. Der große Unterschied bei der Gruppe, die gelernt hatte, zu vergeben, war, dass diese sowohl seelisch als auch körperlich gesünder war und auch Strategien entwickelt hatte, um mit zukünftigen Verletzungen besser umgehen zu können. Es zeigte sich auch, dass Menschen mit einem spirituellen oder religiösen Zugang gesünder und länger lebten. Die Fähigkeit, vergeben zu können, wird offensichtlich durch Spiritualität und Religion positiv unterstützt. [20]
    Die hohe Kunst der Vergebung – die drei Stufen zur Vergebung
    Warum tun wir uns so schwer, einer Person zu vergeben, die uns sehr verletzt hat, auch wenn wir es rational sogar verstehen, dass es für uns selbst viel besser wäre? Wie kann man vergeben, ohne selbst ein Heiliger zu sein?
    Für David Steindl-Rast besteht der Prozess des Vergebens aus drei Stufen, jede Stufe ist schwieriger zu nehmen als die vorangegangene.
    Der Schlüssel ist das Geben und Nehmen. Die einfachste, für viele Menschen schon sehr schwierige Stufe ist das Aufgeben . Das ist etwas, das wir alle lernen müssen. Mütter sollten ihre Kinder das erste Mal aufgeben, wenn sie geboren sind, erneut wieder, wenn sie in die Schule kommen und später nochmals in der Pubertät. Das ist leicht zu verwechseln mit dem Fallenlassen, ist aber etwas ganz anderes, es ist eine nach oben gerichtete Handlung. Richtiges Aufgeben heißt auch immer, Verantwortung zu übernehmen. Aus diesem Geben kommt auch immer ein Nehmen. „Auch im Kloster haben wir alles aufgegeben, zum Beispiel dein Auto gehört nicht mehr dir, sondern der Gemeinschaft. Ob du es wirklich aufgegeben hast, zeigt sich dann daran, ob du es weiterhin so behandelst, als wäre es dein eigenes“. Einem Menschen zu vergeben heißt daher, als Erstes seine eigenen Erwartungen an diesen Menschen aufzugeben.
    Die zweite Stufe ist das Annehmen in Dankbarkeit . Wir müssen etwas zu Herzen nehmen, bevor wir wirklich dafür dankbar sein können. Selbst wenn wir noch nicht sehen warum, können wir dankbar sein für die Möglichkeit, die sich dadurch ergibt, dass wir etwas aufgegeben haben. Wie oft wird uns ja erst im Nachhinein bewusst, wie wichtig eine bestimmte Niederlage für den weiteren Lauf unseres Lebens war. Uns von einem Menschen zu trennen und ihn wirklich aufzugeben, macht uns frei für die Begegnung mit anderen Menschen. Eine auch noch so wichtige Verantwortung aufzugeben macht uns frei, eine neue anzunehmen. Der Augenblick des größten Leidens ist natürlich nicht der beste Augenblick, um Dankbarkeit zu lernen, das wäre etwa so, als ob man mit Chopin beginnen würde, Klavier zu lernen. Wenn wir in jedem Augenblick die Gelegenheit für Dankbarkeit sehen, eröffnet uns das ungeheure Möglichkeiten der Kreativität. Wenn wir uns dagegen nur als Opfer sehen, dann bleibt uns alles verschlossen. Bruder David erzählte mir von einer eigenen großen Verletzung, die er vor vielen Jahren erlitten hat. Es ging um den Bruch eines Versprechens, das man ihm gegeben hatte. Er sollte eine Aufgabe übertragen bekommen, auf die er sich schon sehr gefreut und eingestellt hatte. Er kann es bis heute nicht verstehen, warum man ihm diese Aufgabe dann doch nicht übertrug. „Natürlich habe ich mich ständig gefragt, warum tun die das? Monatelang habe ich mich damit gequält und mich daran geklammert, dass ich ein Opfer bin. Es hat lange gedauert, bis ich in der Lage war, einfach loszulassen.“ Beruhigend zu wissen, dass auch so weise Menschen wie er hart kämpfen müssen …
    Die dritte und bei Weitem schwierigste Stufe ist das Vergeben . Es ist das intensivierte Geben zusammen mit dem allerschwierigsten Nehmen, dem Schuld auf uns nehmen. Vergeben können wir nur mit dem Herzen. Das heißt, von der Stelle vergeben, wo wir alle eins sind. „Wenn du ins Herz gehst, dann gehst du nicht in einen kleinen privaten Raum, sondern es ist wie in dem Märchen, wo du in den Teich steigst und auf einmal bist du in einem großen Reich, wo alle gemeinsam sind.“
    Das bedeutet für uns, dass es irgendwann den Zeitpunkt gibt, an dem wir in unser Herz gehen können und dort alle Menschen versammelt finden, auch die, die uns verletzt haben. Es geht immer um dieses eine. Im Alten Testament steht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das ist für Bruder David eine

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