Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
Doch warte mit dem Heimweg, bis ich aus Sturzbach zurück bin. Für den Moment denke zunächst an dich, Finn. Du brauchst all deine Stärke. Für dich und für deinenVater. Was ist mit deinem Kummer? Wie geht es dir, nachdem du …?« Circendil deutete mit dem Kopf zu den schweigenden Hügeln hin.
Finn rückte den Steigbügel zurecht und zurrte einen Riemen am Sattelgurt fest, der schon fest saß; er öffnete die Schnalle und stieß den Dorn zurück in das Loch, in dem er auch vorher gesteckt hatte.
Mellow wechselte einen vielsagenden Blick mit Circendil.
»Wie soll es mir schon gehen?«, fragte Finn. Ohne es zu bemerken, streichelte er Smods Hals, der sich herabbeugt hatte und an Inku schnupperte. »Die Wahrheit ist, ich spüre im Moment weder Trauer noch das Verlangen zu weinen, wenn du das meinst. Meine Mutter ist vor einer Woche auf eine Reise gegangen. Und was mich betrifft, so ist sie noch nicht von dort wieder zurückgekehrt! Ich kann … Ich will mir einfach nicht vorstellen, sie nie wieder in Moorreet aus dem Fenster blicken zu sehen, um mich zu rufen, weil … na ja, weil die Pfannkuchen fertig sind, meinetwegen. Mir ist … ja, mir ist so, als sei sie bloß noch nicht wieder zu Hause. Dabei fällt mir ein … wo ist überhaupt der Wagen abgeblieben, mit dem die beiden hergekommen sind? Er stand nicht beim Tauberhaus.«
Circendil sah mit besorgter Miene zum Himmel hinauf.
Inzwischen hatte die Sonne den Mittagspunkt weit überschritten und stand fast im Westen; ein matter Fleck leicht helleren Lichtes schwamm hinter den hohen, grauen Wolken und dem hellbraunen Blattwerk der Weiden.
»Ja«, sagte der Dir und sah Finn wieder an. Dann lachte er bitter auf. »Lukather würde das vermutlich gefallen. Gefangen bin ich in der Freundschaft Bande, worüber er nur höhnen würde. Anstatt auf des Sturmes Flügeln nach Sturzbach zu preschen, was der Krieger in mir lautstark fordert, hält mich der Mönch zurück und spricht von Seelenpflichten.
Aber selbst mein Herz warnt mich. Es rät mir, nicht eine Minute länger hier zu verweilen. Eine seltsame Unruhe erfüllt mich.Sie zieht mich mit aller Macht nach Süden. Ich sollte längst auf dem Weg sein. Und doch – Freunde stehen in der Not beieinander. So will ich mich später umso stärker sputen. Zunächst will ich mir mit dir den Ort des Überfalls ansehen, so er in der Nähe liegt. Falls es dort noch Spuren zu entdecken gibt, ist mein Auge jedenfalls geübter darin als deins. Das ist das Wenigste, was ich für dich tun kann. Aber lass uns eilen. Du hast Recht – wir müssen Gasakan sprechen. Oder jemand anderen, der weiß, wo der unglückselige Ort zu finden ist.«
Finn nahm Inku zu sich. Dann stiegen sie auf, querten die Brücke und ritten die Straße entlang – den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Sie kamen an vielen der von der Begräbnisstätte heimkehrenden Vahits vorbei. Verwunderte (und vorwurfsvolle) Blicke folgten den klappernden Hufen, während die Vahits zur Seite wichen und den antrabenden Ponys Platz machten.
Die drei Reiter fanden Bholobhorg beim Tauberhaus, wo er unter einem Fenster auf einer Bank saß und es sich mit einem Sirupbrot gut gehen ließ. Neben ihm zupfte sein Pony ein paar saftige Halme, die vor der Hauswand sprossen, mehr spielerisch als hungrig; ein schlaffer Hafersack an seinem Hals verriet, was des dicken Dumpel eigentliche Hauptspeise gewesen war.
Beide schauten von ihrer kauenden Betätigung auf und den drei Reitern neugierig entgegen.
»Wo ist Gasakan?«, rief Finn ihn schon von Weitem an; er saß nicht ab und hielt nicht einmal an, sondern ließ Smod nur in langsamen Schritt verfallen.
»Da lang, zum Dorf raus.« Bholobhorg zeigte mit einer verschmierten Hand am Broch vorbei Richtung Silberpappeln. Ehe er auch nur aufstehen konnte, waren die drei auch schon an ihm vorbei und im Durchlass der Langen Hecke verschwunden. Niemand forderte ihn auf, ihnen zu folgen; also schob er seinen Hut in den Nacken und widmete sich mit Hingabe dem unterbrochenen Tun.
Auf dem Hinweg war ihnen die Wagenspur, die zwei Meilen vor der Klimtfurt zu ihrer rechten Hand vom Wege abwich und sich entlang eines Wäldchens unter den überhängenden Ästen durch das Gras zog, nicht weiter aufgefallen. Zudem hatten sich die kniehohen Halme inzwischen weitestgehend aufgerichtet, und die Vahits hätten die Wagenspur daher kaum ohne Hilfe entdeckt.
Circendil aber bemerkte, dass Gasakans Landhüter an dieser Stelle die
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