Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
vor den Kopf geschlagen. Tallia war verlobt? Mit einem anderen? Mit diesem … Brango? Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Aber warum sollte Taram die Unwahrheit sagen? Und wer sollte derlei Dinge besser wissen als der Bruder der Braut?
Er wich einen Schritt zurück, bis er gegen den Felsen schwankte und sich unsicher an ihn lehnte. »Es ist … nichts. Schon gut. Eine Verwechslung, glaube ich. Ich … ich bringe da was durcheinander. Sag, sind sie glücklich miteinander, die beiden?«
»Tallia und Brango? Du liebe Güte, aber ja. Sie sind nicht wirklich verlobt, ich meine, mit einem Vertrag und alledem. Aber so gut wie, wenn du verstehst, was ich meine. Wir alle drei kennen uns seit dem Sandkasten, wie man so sagt. Und jedem ist klar: Die beiden werden einmal heiraten! Niemand kann darüberfroher sein als ich! Brango ist mein bester Freund, ein ehrbarer Vahit, wie es nur einen geben kann. Leider sehen sie sich viel zu selten, die zwei. Tallia geht bei dieser Klärerin in die Lehre, im Obergau – aber das weißt du sicherlich. Eine … Dings, na, eine Frau Zaunkönig, glaube ich …«
»Zeisig«, sagte Finn unwillkürlich.
»Oder so. Na, und ich, ich mach den Austauschdienst hier im Tiefengau. Brango hat auf diese Weise gleichzeitig auf uns beide verzichten müssen – gut, nur für ein Jahr, aber immerhin. Er war ganz schön sauer deswegen. Aber wenn ihre Lehrzeit im nächsten Sommer zu Ende geht, soll endlich Hochzeit sein. Es wird ein rauschendes Brautlauffest geben, mein Wort drauf. Und dann zieht sie wohl mit ihm nach Salzbuckel. Keine schlechte Gegend.«
»M-hm«, machte Finn nur und wandte sich um, als er rasche Schritte hörte.
»Wenn es einen nächsten Sommer gibt«, sagte Mellow düster.
Er kehrte mit Circendil soeben zurück und hatte die letzten Worte halb und halb vernommen.
»Und wenn Salzbuckel dann noch steht. Das aber ist keineswegs sicher, wie du inzwischen wissen solltest.« Mellow hielt eine fleckige Ledertasche in der Hand. »Wie auch immer – das hier wird jemand vermissen, nehme ich an.«
Gemeinsam gingen der Mensch und die drei Vahits zur Unglücksstelle zurück.
»Nun, Herr Gauvogt, Ihr hättet besser daran getan, die Umgegend abzusuchen«, sagte Circendil, als sie ankamen.
»Bloß, weil Ihr das da gefunden habt?« Gasakan unterbrach seinen Bericht, beugte sich vor und rümpfte die Nase. »Puh! Ein altes, stinkendes Stück Leder. Na und? Was wollt Ihr damit? Und woher habt Ihr es?«
Mellows Hand beschrieb einen Kreis. »Wir sind einmal um die Findlinge herumgegangen. Ich weiß nicht – plötzlich überkam mich das merkwürdige Gefühl, ich müsste unbedingt einmal inden Sturzspalt hineinsehen. Sein Riss endet kaum dreißig Klafter vor diesen Blöcken hier. Na ja. Und da hing die Tasche. Der Angreifer muss sie verloren haben. Im Geäst eines Stechginsters, nahe am Abgrund. Genaugenommen hing es in ihn hinein. An einem Ast, der in den Spalt hinauswächst, hatte es sich verfangen. Es war eine ziemlich knifflige Angelegenheit, es mit Circendils Schwert herunterzuangeln. Wäre beinahe schiefgegangen.«
Der Mönch maß ihn mit einem halb belustigten, halb vorwurfsvollen Blick. »Weil du mich angeruckelt hattest. Die Tasche fiel schon, aber mein Arm war schnell genug, sie zu fangen.«
Gasakan streckte die Hand aus. »So habt Ihr Euch also wirklich etwas nützlich gemacht? Dann zeigt her. Ist etwas darin?«
Mellow reichte die Tasche weiter, aber an Gasakans Hand vorbei, der dachte, es gelte ihm. Circendil nahm sie und trat einen Schritt zurück.
Die Hand des Gauvogts schnappte vergeblich.
Als sei sie plötzlich besudelt, wischte Gasakan die Handfläche an seinem Hosenbein ab. Der Vindliandir schüttelte die Tasche, und deutlich hörten sie ein schabendes Geräusch, mit dem sich etwas zwischen den Lederfalten bewegte.
»Also doch«, rief Gasakan. »Es befindet sich etwas darin. Gebt Euren Fund her. Ich beschlagnahme ihn hiermit im Namen der Vogtey für meinen Bericht.«
Wieder zuckte seine hagere Hand vor, und mehr denn je sah er dabei aus wie ein Raubvogel, der von einem schlechten Zauber nur unzureichend in einen Vahit verwandelt worden war: die Hand klauengleich gekrümmt, den schmalen Hals vorgestreckt, während über allem die Hakennase drohend schwebte.
In Circendils grünen Augen regte sich ein gefährliches Funkeln. Er sah den Gauvogt über dessen ausgestreckten Arm hinweg an, bis der die Hand sinken ließ.
»Dann behaltet Euren
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