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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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sich stärker als je zuvor. Wild kreischend schaffte er es, dem Hindernis auszuweichen. Doch dabei kippte der Sattel in die Senkrechte. Finn verlor endgültig allen Halt und wirbelte durch die Luft wie ein abgerissenes Blatt im Wind.
    Plötzlich umgab ihn ein fürchterliches Knacken und Krachen und Prasseln.
    Er gewahrte noch, wie er durch das Geäst des Baumes stürzte. Massen von Eicheln regneten herab und trommelten und klopften ihm auf Haupt und Gesicht wie hart fallender Hagel in einem Wintersturm. Überhaupt war ihm, als würde von allen Seiten immerzu auf ihn eingedroschen, als ob Knüppel um Knüppel auf seinen Armen und Beinen, auf seinem Rücken und seiner Brust zerschlagen würden. Dann traf ein letzter Schlag seinen Kopf. Mit einem heftigen Blitz in seinem Denken wurde ihm schwarz vor Augen.
    Er wunderte sich noch, weshalb es so hoch im Geäst eines Baumes derart viel Wasser geben konnte, in das er tosend stürzte. Dann schluckte er mehr davon, als er glaubte, jemals schlucken zu können. Mit dem letzten Rest seiner Sinne schmeckte er eine Übelkeit erregende Modrigkeit darin, eine Ahnung von Tod und Vergänglichkeit, ehe die aufgewühlten Wasser über ihm zusammenklatschten.
    Auch das Glucksen und Gurgeln in seinen Ohren wurde schwächer, wurde leiser, immer mehr, je tiefer er in eine moorige Dunkelheit sank, die ihn umhüllte, die ihn einfing und unerbittlich an ihm zog. In der es kein Atmen mehr gab. Die seine geschundene Brust zusammenschnürte. Die kein Licht mehr gelten ließ, sondern nur noch eine lauernde, lautlose Schwärze kannte.
    Und dann nicht einmal mehr das.

4. KAPITEL
Suppe und Salbe
    E IN WIRRER T EIL SEINES Traumes wollte immer wiederkehren: Etwas wie ein gewaltiges Gewicht hing an ihm. Es zog ihn hinab in gestaltlose Dunkelheit, tiefer und tiefer, während er doch nach oben musste, weil nur dort die Rettung lag. Aber er hatte vergessen, wo dieses Oben war. Kälte umgab ihn, schlimmer als die des kältesten Winters.
    Es kam ihm vor, als läge er unter dem erdrückenden Gewicht von nur widerstrebend auftauender Erde, in der die Erinnerung an Eis und Frost noch lebendig war und in der ein jeder Gedanke an einen erquickenden Frühling unbändigen Zorn hervorrief und sofortige Strafe nach sich zog. Denn gestraft wurde er, ein ums andere Mal: Schlamm drang ihm in Mund und Nase, das Atemholen war ihm unmöglich, und obwohl er um Erbarmen bettelte, wurde ihm dies verwehrt. Etwas strich über seine fest zusammengepressten Lider, ein unangenehmes Gefühl, sanft wie heimtückische Schlinggewächse auf dem Grunde eines Sees, die nach einem Eindringling griffen, und dabei so kalt wie der Tod. Die Berührung regte Widerwillen in ihm, zumal jetzt auch seine Lippen betastet wurden wie von klammen Fingern.
    Ich will aufwachen!, dachte er verzweifelt. Ich will dich gern vergessen   – nur bitte, Traum, gib mich frei!
    Ihm tat alles weh, als habe er sich in seinem unerfreulichen Albdrücken hin und her gewälzt und sich dabei seine Glieder samt und sonders am Bettkasten grün und blau geschlagen.
    Ein neuer Schmerz ging seltsamerweise von seinen Haaren aus; und auch daran zerrte etwas und zog an ihm wie eine unbarmherzige Hand. Er wollte schreien und dieses Etwas von sich streifen, doch beides gelang ihm nicht. Zu viel Schlamm geriet in seinen Mund; und seine Arme bewegten sich so zäh und langsam, als sei er eine Fliege und klebe in der Finsternis eines Fasses zu dick geronnenen Leims.
    »Hab ihn!«, hörte er eine Stimme sagen. Sie klang dumpf und undeutlich wie durch zwei Wände vernommen. Der Schmerz in seiner Kopfhaut verdoppelte sich zu weißglühenden, stechenden Irrlichtern, die hinter seinen Augen tobten, als eine Faust mit unbändiger Kraft seinen Haarschopf packte und beinahe wütend daran zog.
    Doch schon im nächsten Moment ließ der Schmerz nach.
    Zwei Hände griffen unter seine Achseln. Dann fühlte er sich emporgezogen, langsam und gegen einen Widerstand, der irgendwo unter ihm war. Unter Schmatzen und Plumpsen und Platschen kam er aus der kalten Umklammerung eines moorigen Tümpels frei.
    Jemand strich Schlieren von Schlamm aus seinem Gesicht, fuhr gar mit dem Finger in seinen Mund und entfernte von dort einen Kloß aus widerlichem Schleim, der ihm in die Kehle zu rinnen drohte.
    Begierig sog er die Luft in seine Lungen: zitterndes Bündel von nassem Vahit, das er war.
    »Da kommt noch was!«, sagte dieselbe Stimme wie vorher. »Da! Seht! Es hängt an seinem Gürtel. Ein Strick,

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