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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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vorhin zu hitzig, Finn. Vielleicht hat Circendil mit seinem Verdacht mehr Recht, als uns beiden lieb ist. Wenn Wredian einen Späher der Hel entsendet, wie du es nennst, warum soll dann nicht auch Gesslo einen Spion an seine Seite stellen? Ich fürchte, wir werden uns in aller Form entschuldigen müssen.«
    Aber ehe sie noch dazu kamen, sahen sie Bholobhorg anhalten. Er wartete, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatten. Da erkannten sie erst, wo sie sich befanden.
    Vor ihnen ragte der Felsen des Mürmelkopfes aus dem Grau der Nacht. Die linke Seite seines Steingesichtes lag matt im Licht des Mondes, der schon nach Westen wanderte. Sie hielten jetzt an der Stelle, an der die Straße zum Fluss hin abbog, um den Mürmelkopf zu umrunden. Leise flüsterte die Mürmel über die Kiesel.
    »Worauf wartest du?«, fragte Mellow leise. »Was ist?«
    »Ich frage mich, ob noch Gidrogs in der Nähe sind.«
    »Wenn es sich so verhielte, würdest du endlich einen zu Gesicht kriegen«, murmelte Finn und legte die Hand auf das Heft seines Schwertes. »Fast wünschte ich, es wäre so.«
    »Ein seltsamer Wunsch«, meinte Circendil. »Und einer, der erfüllt werden soll. Was Finn leichten Sinnes vergessen zu haben scheint: Es sind sehr wohl noch immer Gidrogs in der Nähe. Und du wirst jenseits des Felsens mehr als einen zu Gesicht kriegen.«
    Trotz des fahlen Mondlichts sahen sie, wie Bhobho erblasste. »Aber   … aber werden sie uns nicht angreifen?«
    »Du kannst getrost weiterreiten, Herr Bholobhorg. Sie sind tot, einer wie der andere   – gefallen in der Schlacht zur Freitagnacht. Falls du dich erinnerst: An diesem Abend suchtest du, glaube ich, Schutz hinter einer Barrikade. Ein wenig später verweigertest du ehrlichen Reisenden den Einritt ins Dorf. Ich für meinen Teil habe es nicht vergessen.«
    Er schnalzte und lenkte Gwaeth um Bholobhorgs Pony herum. Finn und Mellow folgten ihm dichtauf, und Bhobho ritt ebenso langsam wie stumm hinterdrein.
    Regen und Wind hatten die zurückgelassenen Gepäckstücke der Rudenforster Vahits in der Zwischenzeit noch weiter verstreut. Zerrissene und davongewehte Kleider hingen in dünnen Ästen. Zwischen den verunglückten Wagen flatterten Fetzen von allem Möglichen. Der Fluss hatte die meisten der hineingefallenen Fässer und Kisten mit sich fortgeschwemmt, doch der von der Uferböschung gerutschte Wagen lag noch immer im Uferschlamm, die zerbrochene Deichsel in den Himmel gestreckt wie ein mahnender Finger.
    Während sie vorsichtig einen Bogen um die Pfützen machten, starrte Bholobhorg entsetzt auf den Leichnam des Gidrogs, der zusammengesunken über dem Stein hing. Aus seinem Rücken ragte immer noch die Mistgabel auf. Bhobhos Pony scheute, als es an dem toten Criarg vorbeigehen sollte, dessen ausgebreitete und vom Wind zerzauste Flügel auf der Straße lagen, dreckig und stinkend. Das arme Reittier, das nie dergleichen gesehen hatte, sog ängstlich die Luft ein und schnaubte widerstrebend, als Bhobho es mühsam an dem umgestürzten zweirädrigen Karren vorbeidrängte, unter dem das qualvoll verendete Rudenforster Pony mit dem aufgerissenen Rücken lag.
    Scharen von böse summenden Nachtfliegen lösten sich von den Kadavern, als sie dicht daran entlangritten. Ein widerlicher, klebriger Gestank hing trotz des gefallenen Regens in der Luft. Eswar ein Brechreiz erregender Geruch, der sie alle dazu zwang, ihre Nasen zu bedecken.
    Sie beeilten sich, den Mürmelkopf zu verlassen, und Finn war heimlich froh, weder den Gidrog, den er und Mellow gemeinsam erschlagen hatten, noch jenen, den er über den Haufen geritten hatte, noch einmal betrachten zu müssen   – sie lagen zu weit abseits der Straße, verborgen zwischen raschelnden Sträuchern. Aber sie kamen an denen vorbei, die von Circendil niedergestreckt worden waren: Einem fehlte ein Arm, dem anderen ein Bein, und beide lagen verkrümmt auf dem Rücken. In ihren eingefallenen Hauergesichtern hielt sich, so schien es Finn, immer noch ein Ausdruck von wütender Ungläubigkeit, als könnten sie ihren eigenen Tod nicht fassen. Beider Augenhöhlen waren leer, und wie rote Tränen wuselten Heerscharen von Ameisen hinein und hinaus und hinfort. Finn keuchte; er trieb Smod an, um von diesem schauerlichen Ort fortzukommen, und er hörte, wie Bholobhorg hinter ihm im Sattel mehrmals würgte.
    Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis sie die Mittelstraße erreichten.
    Bis zur Einmündung waren es nur noch ein oder zwei Meilen. Dann standen sie unter dem

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