Der Vermesser
ge-
gefasst wird.
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XXIII
D u hast doch von dem Toten gehört, den sie aus dem Fluss ge-
fischt haben, dem feinen Herrn mît der Ziegelei? Die Polypen
haben den Täter schon geschnappt. Und
in der Moor Street hin-
ter Schloss und Riegel gesetzt.«
»Glaubst du wirklich, die haben den Richtigen erwischt?
Diese Blödmänner vom Revier würden̕s doch nicht mal schaf-
fen, sich die Cholera einzufangen, selbst wenn sie in einem Ab-
wasserloch hausen und sich bis zum Rand mit der stinkenden
Brühe abfüllen würden.«
Die beiden Männer lachten und nahmen einen weiteren
Schluck. Tom, der am Ende der Theke nah am Kamin seinen Krug
umklammert hielt, rührte sich nicht von der Stelle, drehte aber
den Kopf ein wenig, um die beiden besser verstehen zu können.
»Unfähige Trottel, da hast du Recht«, meinte der Erste zustim-
mend. »Wahrscheinlich hat der Kerl, den sie hopsgenommen
haben, gar nichts angestellt. War bestimmt so ̕n armer Einfalts-
pinsel, den sie aus dem Bett gezerrt haben, damit̕s so aussieht,
als hätten sie die Sache aufgeklärt, und sie sich nach Hause trol-
len können, bevor ihr Abendessen kalt wird.«
Der Wirt schüttelte den Kopf, als er ihre Krüge zum Nachfül-
len vom Tisch nahm. »Das ist schon der Richtige, ganz be-
stimmt. Nicht dass diese feinen Herren von Scotland Yard viel zu
ermitteln gehabt hätten. Nach dem, was Eddowes erzählt, der
Wirt vom Kaffeehaus hinten in der Moor Street, hat der Idiot die
ganze Geschichte seiner Alten gebeichtet. Haarklein, in ̕nem
Brief. Einem Brief! Das muss man sich mal vorstellen. Was ist das
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nur für ein Trottel, der in ̕nem Brief schreibt, dass er einen um-
gebracht hat, und meint, er würd einfach so davonkommen? Da
wär̕s ja schwerer, ̕nen Hund auszumachen, der ̕nen Zylinder
aufhat, auf den Hinterbeinen läuft und den Leuten in die Tasche
greift.«
»Was is das eigentlich für einer, dieser Mörder? Auch so ̕n fei-
ner Herr, stimmt̕s? Heißt ja, der Tote hätt ̕ne Menge Schulden
auf dem Kerbholz und in ganz London wär̕n die Leute hinter
ihm her gewesen, um ihr Geld von ihm einzutreiben.«
Der Wirt zuckte die Schultern. Eddowes wusste bestimmt
noch manch anderes, in seinem Kaffeehaus bekam er schließlich
alles mit. Aber wer dieser Gläubiger war, der den Mord begangen
hatte, blieb ein Rätsel. Einer der beiden kratzte sich nachdenk-
lich am Kopf, dann steckte er sich die Finger in die Ohren und
fuhr kräftig darin herum, als glaubte er, die Antwort würde ihm
unversehens einfallen, wenn er nur genügend Schmalz entfernte.
»Dann hat ihn also seine Alte verpfiffen.« Der andere schnaub-
te bedrückt. »Is ja reizend, wirklich. Was is das für ̕ne Welt, in
der einen die eigene Frau bei den Polypen hinhängt? Früher
könnt man als Mann noch Treue und Respekt von seiner Ange-
trauten erwarten, aber heutzutage?«
Die Männer verfielen in Schweigen. Jeder dachte an seine
eigene Frau und unterzog sie einer Überprüfung, als gelte es, die
Stärken und Schwächen bei einem Hund oder einem Pferd ab-
zuwägen. Am Ende war keiner von ihnen sicher, ob er einen gu-
ten Fang getätigt hatte, und so saßen sie eine Weile verdrossen
da. Sie hatten gerade angefangen, sich über die allgemeine Hin-
terhältigkeit von Frauen, Kindern und Polizeibeamten auszu-
lassen, als Eddowes höchstpersönlich hereinkam. Der Wirt be-
grüßte ihn herzlich, rief in die Küche, man solle einen Teller
Leber und Schinken bringen, und stellte ihm wie gewöhnlich
seinen Krug Stout auf die Theke.
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»Grad eben habe ich den Herren hier erzählt, dass die Polypen
den Ziegelei-Mörder zur S
c
tre ke gebracht haben. Hast u
d inzwi-
schen was Neues gehört?«
»Du meine Güte, das ist vielleicht ̕ne Geschichte«, erklärte
Eddowes. Er lehnte sich zurück und nahm einen kräftigen
Schluck. Dann schüttelte er den Kopf und legte stolz eine Hand
auf seinen vorstehenden Bauch, a
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äre der bis zum Bersten voll
mit köstlichen Neuigkeiten. »Was für ̕ne Gesch chte!«
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»Nu erzähl schon«, drängte der Wirt und setzte ie
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Ellbogen
auf die Theke. »Los, sag doch.«
»Aah!« Eddowes nahm einen weiteren Schluck, stellte lang-
sam und genüsslich den Krug ab und wischte sich mit dem
Handrücken über den Mund. »Das is ̕ne Geschichte, sag ich
euch, ̕ne tolle Geschichte.«
»Dann erzähl doch endlich«, bat der Wirt erneut.
Tom r ckte
ü
näher, hütete sich jedoch, ein Wort zu sagen.
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