Der Verrat
weltweiten Privatvermögens in den Genfer Banken angelegt. Das bedeutete, dass eine Stadt mit nur einer Viertelmillion Einwohner mehr an Privatvermögen beherbergte als New York, London, Paris, Hongkong oder Tokio. Schwer zu glauben – aber es war so.
So wie viele religiöse Heuchler vor ihnen hatten es auch die Genfer irgendwie geschafft, ihren calvinistischen Glauben mit einer ungezügelten Geldgier in Einklang zu bringen. Man könnte sich nun fragen, wie es kommen konnte, dass ein Viertel des weltweiten Privatvermögens in einer relativ kleinen Stadt landen konnte. Die Antwort war einfach. Die Schweizer achteten auf absolute Geheimhaltung, was Bankunterlagen betraf. Viele ihrer Kunden waren rechtschaffene Geschäftsleute oder Mitglieder des europäischen Adels, die ganz einfach nicht wollten, dass irgendjemand über ihre Finanzen Bescheid wusste. Ein unverhältnismäßig hoher Anteil wurde jedoch von Gaunern und Soziopathen gebildet – von Leuten, die gelogen, betrogen und zum Teil sogar getötet hatten, um zu ihren Reichtümern zu kommen.
Wenn sich diese Ganoven damit begnügt hätten, ihre ergaunerten Vermögen in den blank polierten Genfer Banken zu deponieren, so hätte es über die Stadt am Genfer See wahrscheinlich nicht viel zu sagen gegeben. Das Ganze hatte jedoch einen Nebeneffekt, mit dem die politischen Verantwortlichen der Stadt nicht gerechnet hatten. Genf war zum Anziehungspunkt für reiche Halunken und Kriminelle aus allen Kontinenten geworden. Nachdem viele davon ihr Vermögen auf kriminelle Weise erworben hatten, wurden sie in ihren Heimatländern polizeilich gesucht, wo ihnen Gefängnis oder sogar der Galgen drohte.
Durch den Einfluss von Soziopathen und Größenwahnsinnigen hatte sich ein sehr interessantes soziales Umfeld entwickelt. Zumindest fand Joseph Speyer es interessant. Der sechsundfünfzig Jahre alte Banker war in Genf aufgewachsen und so wie viele schwule Männer seiner Generation gezwungen gewesen, seine Sexualität zu verbergen, bis er etwa Mitte dreißig war. Seine Familie war streng protestantisch und hielt sich an jede Menge Regeln, die nur wenig Platz für Vergnügen ließen. Darin unterschied sich seine Familie aber nicht von vielen anderen, sodass sich ein geistiges Klima entwickelte, in dem heimliche Homosexualität und sexuelle Abartigkeiten jedweder Art gediehen. Dazu kam noch der Einfluss von extrem reichen Leuten, die an allen möglichen Persönlichkeitsstörungen litten, was alles in allem eine Schattenwelt der Perversionen in der Stadt entstehen ließ.
Speyer war unterwegs, um sich mit einem der größten Gauner in Genf zu treffen. Es war Montagabend. Der Montag war der einzige Tag der Woche, an dem die heißen Nachtclubs der Stadt geschlossen hatten. Wenn man von den Dreißig-Dollar-Drinks und der teuren Einrichtung absah, so handelte es sich bei diesen Clubs um nichts anderes als simple Bordelle. Prostitution war in der Schweiz legal. Dies war ein großes Dilemma für die politisch Verantwortlichen gewesen. Die Väter der Reformation hätten es niemals gutgeheißen, käufliche Liebe zu legalisieren, doch es wurde argumentiert, dass diese Maßnahme nötig sei, damit das Bankgeschäft wettbewerbsfähig blieb. Die reichen arabischen Prinzen und all die anderen Krösusse, die in den Siebzigerjahren von überall her in die Stadt zu strömen begannen, wollten Frauen haben, und sie waren gern bereit, dafür exorbitante Beträge zu zahlen. Nach mehreren Jahrzehnten des Selbstbetrugs und des Wegsehens nahm man sich des Problems an, legalisierte die Prostitution und begann dafür Steuern zu erheben.
Speyer empfand eine perverse Freude an diesem Treiben. Er war im Grunde seines Wesens ein Voyeur, und es gab wenig, was ihn mehr erregte, als dafür zu sorgen, dass die Wünsche seiner sexuell verdorbenen Kunden erfüllt wurden. Cy Green war einer dieser Kunden. Der Mann hatte ein sexuelles Verlangen, das manche als Sucht betrachten würden, aber verglichen mit anderen, die Speyer kannte, sah er es nur als gesunden Appetit an. Green wollte jede Nacht Sex. Er hatte Speyer gegenüber einmal gemeint, dass das mit seiner Persönlichkeit als Alphamann zusammenhänge. Monogamer Sex kam für ihn nicht infrage. Green bevorzugte zwei Frauen plus Vorspiel, bei dem er gern auch zusah. Speyer wusste das so genau, weil Green ihn schon des Öfteren überredet hatte, ebenfalls zuzusehen.
Speyer manövrierte seinen BMW in einen Parkplatz einen Block von Greens Wohnung entfernt und ging den
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