Der Verrat
aufzubauen.
Nachdem alle Sicherheitsvorkehrungen installiert waren, beschäftigte sich eine Gruppe innerhalb der CIA mit der Frage, welchen Gefahren Irene Kennedy hier ausgesetzt war. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie in ein Haus mit einer langen Zufahrt ziehen sollte. Ihr jetziges Haus stand nur etwa zwölf Meter von der Straße entfernt. Jeder Terrorist, der ein paar tausend Dollar auftreiben konnte und über Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Chemie verfügte, konnte in ihre Straße fahren und ihr Haus in die Luft jagen. Nach dem Anschlag vom elften September hatte eine solche Vorstellung etwas beängstigend Reales. Sie war mit Sicherheit ein begehrtes Angriffsziel, und ihre Nachbarn hatten verständlicherweise eine gewisse Sorge, dass ihre friedliche Wohngegend zum Ground Zero gemacht werden könnte.
Kennedys Reaktion bestand darin, die Sicherheitshinweise der CIA-Arbeitsgruppe in eine Schublade zu legen. Sie dachte an die Risiken, die ihr Vater und ihre Stiefmutter eingegangen waren. Ihr Dad hatte ebenfalls für die CIA gearbeitet. Er war CIA-Stationschef in Beirut gewesen, als das Gebäude 1983 durch eine Autobombe dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ihre Stiefmutter arbeitete im Außenministerium. Kennedys Eltern hatten sich getrennt, als sie sechs Jahre alt war. Ihre Mutter war für die Welt der internationalen Spionage einfach nicht geschaffen gewesen. Irene verbrachte einen großen Teil ihrer Jugend und frühen Erwachsenenjahre im Ausland. Sie lebte in Kairo, Damaskus, Bagdad und Beirut, bis dort das Chaos ausbrach. Wenn man sich auf den Straßen Beiruts bewegt und wenige Blocks entfernt MG-Feuer und Mörsergranaten gehört hatte, dann kam einem die Vorstellung, dass sich hier in den ruhigen Straßen von Potomac Palisades ähnliche Gewaltszenen abspielen könnten, geradezu absurd vor.
Als Präsident Hayes beschloss, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, schob Kennedy die Entscheidung, ob sie wegziehen oder bleiben sollte, zunächst auf. Als Alexander und Ross die Wahl gewannen, war ihr klar, dass sie nicht von hier wegzugehen brauchte. Irene Kennedy war ein Mensch, der immer höflich blieb und sich nur selten auf eine Konfrontation einließ. Als Frau in einer Männerwelt wusste sie jedoch, dass all die unersättlichen Egos, die in Washington nach großen Karrieren strebten, ihre Präsenz allein oft schon als Bedrohung empfanden. Thomas Stansfield, ihr Mentor, hatte sie oft davor gewarnt, wie gefährlich es war, für Männer zu arbeiten, die ständig beweisen mussten, dass sie recht hatten. Kennedy vermied grundsätzlich Streitigkeiten, Klatsch und Intrigen; sie verfolgte eine klare Linie, trat den anderen aber stets respektvoll gegenüber. Sie hatte es auch gegenüber Ross mit dieser Haltung versucht, aber es hatte immer schon Anzeichen dafür gegeben, dass der Mann irgendwelche verborgenen Absichten hegte. Es waren nur Kleinigkeiten gewesen, an denen sie es merkte – aber Kleinigkeiten verrieten oft sehr viel über einen Menschen.
Zum Beispiel kam Ross grundsätzlich zu jeder Sitzung zu spät. Kennedy erinnerte sich daran, was Stansfield ihr einmal über Leute gesagt hatte, die sich immer verspäteten. Seiner Ansicht nach gab es drei Kategorien von solchen Leuten; die erste Gruppe waren die Fachidioten, die auf ihrem Gebiet absolut herausragend waren, die mit den Gedanken jedoch meist in anderen Sphären schwebten. So kompetent diese Leute einerseits waren, so hilflos und überfordert waren sie im praktischen Leben. Die zweite Kategorie waren die Perfektionisten – Leute, die außerstande waren, eine Aufgabe abzuschließen und zur nächsten weiterzugehen. Diese Leute schafften es nie, irgendwelche Termine einzuhalten; sie stiegen selten in eine Position von echter Macht auf und waren harmlos, solange man richtig mit ihnen umging. Die dritte Gruppe, vor der man sich am meisten in Acht nehmen musste, waren die Egomanen. Diese Leute glaubten nicht nur, dass ihre Zeit kostbarer war als die von allen anderen – sie mussten das auch ständig beweisen, indem sie andere warten ließen.
Kennedy blickte beunruhigt aus dem Fenster und hielt Ausschau nach Autoscheinwerfern. Rapp und Dumond hatten ihr mitgeteilt, dass sie etwas Interessantes gefunden hatten und gleich zu ihr kommen würden. In der Vergangenheit hatte sie sich immer bemüht, ihre persönlichen Gefühle von der Arbeit zu trennen, vor allem, wenn es um hochrangige Politiker ging. Ross machte es ihr schwer, sich an diesen Grundsatz zu
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