Der Verrat
früh, 06:38 Uhr. Die Pressekonferenz würde in etwas mehr als drei Stunden beginnen. Rapp lächelte und fragte sich, ob sie sie tatsächlich abhalten würden. Eigentlich blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie hatten eine Person in Gewahrsam – jemanden, den sie für den Anschlag zur Verantwortung ziehen konnten. Wenn sie die Pressekonferenz absagten, würden sie ziemlich dumm dastehen, deshalb war Rapp überzeugt, dass die Veranstaltung wie vorgesehen um zehn Uhr beginnen würde. Bis dahin hatte er ein paar Telefongespräche zu führen, doch das wollte er nicht von der Wohnung aus tun. Er würde das Viertel verlassen und dann seine Anrufe machen.
25
CIA-Hauptquartier, Langley, Virginia
Brooks war noch nie im sechsten Stock gewesen, geschweige denn in den Büroräumen der Direktorin. Sie saß nervös in dem kleinen Empfangsbüro – zusammen mit zwei großen bulligen Männern, die sie anstarrten, und einer kleinen zierlichen Frau, die sie ignorierte. Die Männer waren bestimmt ehemalige Soldaten. Sie hatten kurzes Haar und breite, nach vorne gekrümmte Schultern, was auf zu viel Bankdrücken und Hantelübungen und zu wenig Training für die Rückenmuskulatur zurückzuführen war. An den Hüften trugen sie die typischen Kennzeichen des Bodyguards – rechts wahrscheinlich die Pistole und links das Funkgerät und Extramagazine.
Sie hatte in ihren ersten vierundzwanzig Lebensjahren nie auf solche Dinge geachtet, dann ging sie auf die »Farm«, wo die CIA ihre jungen Rekruten für den Clandestine Service ausbildete. Die Farm machte sie zu einem anderen Menschen. Es war, als hätte jemand einen Vorhang gelüftet und ihr den Blick auf eine neue Dimension des Lebens eröffnet. Das Ganze hatte nichts Geheimnisvolles an sich. Sie lehrten einen, dass das eigene Überleben vor allem davon abhing, dass man seine Umgebung stets im Auge behielt. Brooks dachte an die Monate zurück, die sie auf der Farm verbracht hatte, und versuchte sich zu erinnern, ob sie dort etwas gehört hatte, was mit ihrer momentanen Situation zu tun hatte. Immerhin widersetzte sie sich den Anweisungen ihrer Vorgesetzten, und wenn sie Pech hatte, würde man ihr sogar Behinderung der Justiz vorwerfen.
Sie blickte auf und sah Special Agent Skip McMahon in das Empfangsbüro eintreten. Der FBI-Mann war groß und kräftig gebaut und strahlte eine starke Präsenz aus. Er musterte Brooks von Kopf bis Fuß, runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, ehe er sich der Türhüterin der Direktorin zuwandte.
Die klein gewachsene, zierliche Frau hinter dem Schreibtisch blickte zu ihm auf: »Guten Morgen, Skip. Gehen Sie ruhig rein, sie erwartet Sie schon.«
McMahon murmelte etwas Unverständliches, trat in Kennedys Büro ein und schloss die schwere Tür hinter sich.
Brooks blickte zu Boden und fragte sich, warum sie sich von Rapp in diese Situation hatte bringen lassen. Vor nicht einmal achtundvierzig Stunden hätte sie ihn noch am liebsten erwürgt, und jetzt ließ sie sich von ihm überreden, ihre Karriere aufs Spiel zu setzen. Gewiss, er war der große Mitch Rapp – eine lebende Legende. Er genoss das Vertrauen von Irene Kennedy, und er hatte dem Präsidenten das Leben gerettet; es hieß, dass Hayes alles für ihn tun würde. Sie gehörte zu den wenigen verdeckten Operatoren in Langley, die von sich sagen konnten, einen Einsatz mit ihm bestritten zu haben. Auch wenn sie ihm mehr zugesehen als mit ihm zusammengearbeitet hatte, war die Erfahrung doch von unschätzbarem Wert. Rapp versicherte ihr, dass ihre Situation höchstens ein, zwei Tage unangenehm sein würde, dass sie danach aber sicher besser dran sei, wenn sie auf seiner Seite stand. Sie hatten den Mann gefunden, der den Anschlag auf den Konvoi verübt hatte, und sie würden damit an die Öffentlichkeit gehen. Die CIA würde endlich wieder einmal in einem positiven Licht dastehen.
Brooks hatte ihre ganze Laufbahn noch vor sich und dachte sich, dass sie es vielleicht doch gut getroffen hatte. Es würde gewiss in Erinnerung bleiben, dass sie an diesem wichtigen Einsatz beteiligt war, auch wenn sie nur die Rolle der hübschen Begleiterin von Mitch Rapp zu spielen hatte. Noch vor Kurzem hatte sie durchaus das Gefühl gehabt, das Richtige zu tun – jetzt aber kamen ihr doch ernste Zweifel. Special Agent McMahon war, wie erwartet, verärgert gewesen, als sie ihm den Gefangenen auf der Andrews Air Force Base übergab. Er hatte mit Rapp gerechnet, und vor allem hatte er mehr erwartet als einen mehrfach
Weitere Kostenlose Bücher