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Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)

Titel: Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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nach Rodenkirchen gefahren, und die Tante hatte ihm über den schlimmsten Trennungsschmerz hinweggeholfen. Doch nachdem Raupach ihr einmal sein Herz ausgeschüttet hatte, suchte er sie immer widerstrebender auf. Es kam ihm so vor, als stellte sie stets die gleichen Fragen, auf die er nach wie vor keine Antworten wusste.
    »Was machst du an den Feiertagen, Klemens?«
    »Nichts.«
    »Schon wieder? Das hast du doch erst letztes Jahr getan. Und das Jahr davor. Wird das zu einer Art Tradition?«
    »Ich weiß es noch nicht«, sagte Raupach. »Muss ich mich unbedingt festlegen?«
    »Im Wetterbericht heißt es, dass wir eine weiße Weihnacht bekommen. In Köln! Stell dir mal die Uferstraße vor, wenn Schnee liegt.«
    »Das wäre wunderbar.«
    »Und das willst du verpassen?«
    »Abwarten, Tante. Noch ist es nicht so weit.«
    »Aber ich muss doch planen, Junge. Für mich allein schiebe ich keine ganze Ente in den Ofen.«
    Raupach kannte diese Weihnachtsente. Tante Luise war keine große Köchin, dafür fehlte ihr die Geduld. Aber für einen knusprigen Braten stellte sie sich schon einmal einen Vormittag an den Herd. Die Füllung ihrer Weihnachtsente war ein rarer kulinarischer Höhepunkt. Auch ein Kindheitsgeschmack. Raupach hatte seine Tante schon als Schüler besucht. Er stammte aus Oberfranken, einem Teil Bayerns. Seine erste selbstständige Zugfahrt hatte Köln zum Ziel gehabt.
    »Ruf mich an, falls du es dir überlegst.«
    »Mach dir bitte keine falschen Hoffnungen«, bat er sie. »Wahrscheinlich …«
    »… hast du zu tun.« Sie wusste, dass seine Arbeit im Archiv normalerweise nicht drängte. Dass er sie wieder enttäuschen würde. »Nutze deine Zeit, Klemens. Du hast keine andere.«
    Er legte auf. Gute Ratschläge, ob man sie hören wollte oder nicht, lagen wohl in der Familie. Dann griff er wieder nach dem Bügeleisen und schaltete den Fernseher ein.
    Nach dem ersten Hemd hatte er seinen Rhythmus gefunden. Glattstreichen, Dampfstrahl einschalten und drauf mit dem Eisen. Das Gerät sah aus wie eine futuristische Laserpistole und lag gut in der Hand. Brust, Rücken, Schulter, Kragen, Manschetten. Zuknöpfen und Zusammenfalten. Fertig.
    Im Kulturkanal lief eine Sendung über gewaltsame Ausschreitungen in den Pariser Vorstädten. Es ging um die »fraction sociale«, den sozialen Riss, den Armut, Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven durch die Gesellschaft gezogen hatten. Ein französischer Philosoph wurde dazu befragt. Er sprach über den Hass in der zivilisierten Welt, während Liebe und andere Leidenschaften verkümmerten.
    Raupach folgte dem Gespräch, während er seine Hemdkragen malträtierte und die eine oder andere Falte zu glätten versuchte.
    »Der Hass existiert in jedem Menschen«, sagte der Philosoph. »Es beginnt mit dem Selbsthass, aus dem sich der Hass auf den anderen entwickelt. Der Schmerz wird zu Wut, die Wut mündet in den Krawall und am Ende in die Brandstiftung, auch wenn sich jemand selbst anzündet.«
    Raupach horchte auf.
    »Er wird zur menschlichen Bombe«, setzte der Mann im Fernseher hinzu. »Der Mensch ist zum Besten und zum Schlechtesten fähig. Das Schlechteste ist es, einen anderen zu töten.« Er hob die Hände. »Das ist doch keine Offenbarung.«
    Köln war glücklicherweise nicht Paris, dachte Raupach. Soziale Brennpunkte gab es zwar überall. Aber von jemandem, der die Glocke zitiert, glaubte er nicht, dass er eine Busfahrerin mit Benzin übergießt, wie es in Frankreich geschehen war. Die dortigen Geschehnisse schienen einer anderen Welt zu entstammen.
    Schließlich war die Sendung zu Ende. Raupach beeilte sich mit dem letzten Hemd und legte es zu den anderen. Dann sank er auf seine Couch. Nach einer Reihe von Programmankündigungen begann der Malkurs.
    Der Fernsehmaler hatte sich diesmal eine Winterlandschaft vorgenommen. Raupach notierte die Farben, die dazu nötig waren. Titanweiß, Van-Dyck-Braun, Preußischblau und einige andere mehr. Vielleicht würde er sich die Sachen besorgen, überlegte er, dazu eine Leinwand und ein paar Pinsel, dann konnte er loslegen. Aber welches Motiv sollte er wählen? Diese willkürliche Berglandschaft, die da gerade auf dem Bildschirm entstand? Seit dem Stromboli-Erlebnis hatte er das Interesse an Bergen verloren.
    Mit einem Spachtel skizzierte der Maler die Linien des Höhenzugs und legte auf diese Weise den Hintergrund des Gemäldes fest. Dann modellierte er die Flanken der Berge und versah sie mit einem weißen Überzug. Das sollte Schnee

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