Der Visionist
Bundesstraße 101N Richtung Ventura. Bei der Ausfahrt Ojai verließ der rote Punkt die Autobahn. Fünfzehn Minuten später hielt er an, offenbar auf einer Landstraße. Sie waren eine Stunde und achtunddreißig Minuten vom Flughafen von Los Angeles entfernt. Das Einzige, was das Navigationssystem ihnen in dieser Gegend anzeigte, war das Naherholungsgebiet beim Casitas-See, das keinem von ihnen etwas sagte.
„Wo zum Teufel sind wir?“, fragte Matt und sah hinaus auf die weite bergige Landschaft, die sie umgab. In Brooklyn geboren hatte er außer den Monaten seiner Ausbildung in Quantico immer nur in New York City gelebt. Angeblich war Quantico eine Tortur für ihn gewesen, aber eine noch größere für seine Kollegen dort. Er behauptete, dass er zum Leben Asphalt unter seinen Schuhsohlen und Abgase in der Nase brauchte.
„Natur, Matt. Das heißt Natur“, grinste Lucian.
„Sehr hübsch. Schnappen wir uns unseren Kumpel Hypnos und kehren wir in die Zivilisation zurück.“
Lucian aktivierte sein Funkgerät und schloss sich mit den Verstärkungsteams kurz. Acht Männer in drei Fahrzeugen waren alle keine fünf Minuten hinter ihnen. Er gab ihnen Anweisung, bei der letzten Kurve zu parken und zu Fuß weiterzugehen, falls sie beobachtet wurden. Matt und er würden vorangehen. Während des Gesprächs ließ er das rote Signal aus dem Innern von Hypnos nicht aus den Augen.
Lucian und Matt verließen die offene Straße, stapften durch einen angrenzenden Orangenhain und kamen acht Minutenspäter zu einer Anhöhe. Unter ihnen lag ein Gebäudekomplex, der aussah, als sei er mitten aus den Felsen, Bäumen und Hügeln des Grundstücks herausgewachsen, das sich über etwa sechs bis acht Hektar weit erstreckte.
„Kaum Aktivität da unten“, sagte Matt nach einer Minute. „Was immer das ist, für heute haben sie schon dichtgemacht.“
Die Gegend wirkte in der Tat verlassen. Lucian zählte ein Dutzend Gebäude, von mittleren Einfamilienhäusern bis zu Gebäuden, die so groß waren wie Flugzeughangars. Die atemberaubende Architektur der Anlage wurde charakterisiert durch lang gezogene, flache und horizontale Linien, durchbrochen von ausgeprägten Dachschrägen und ausladenden Balkonen.
„Schauen wir mal, wie weit wir da rankommen!“
Die beiden Agenten gingen den Abhang hinunter, durch einen weiteren Orangenhain und betraten die Anlage, ohne auf irgendeine Art von Tor oder Einzäunung zu stoßen. Lucian überprüfte wieder sein GPS-Gerät und zeigte auf einen Bungalow, der etwas abseits in einem kleinen Eukalyptuswäldchen stand. „Laut dem heiligen Christophorus hier ist die Statue im Gebäude da hinten rechts.“
Vor Jahren hatte Comley das erste Ortungsgerät „heiliger Christophorus“ getauft, nach dem Schutzpatron der Reisenden, was vom ganzen Team übernommen worden war.
„Hey Gary! Wie viele Personen kannst du da drin sehen?“
Gary Fulton, Special Agent vom Team aus Los Angeles, studierte seinen mobilen P3-Sensor, nicht viel größer als ein Handy, der mit Mikrowellen durch Wände sehen konnte. „So wie es aussieht, sind fünf Personen im Haus.“
„Wo ein Wille ist … Auf geht’s, Männer“, sagte Matt mit dem für ihn so typischen Optimismus. Manch anderer Agent war genervt von so viel unerschütterlicher Zuversicht, nicht jedoch Lucian. Er schätzte Matts Energie und verließ sich auf seinen klaren Kopf. Für ihn waren sie ein Team von Superhelden, für die kein Hindernis unüberwindlich war.
Lucian wies zwei der Verstärkungsteams an, sich um das Gebäude zu verteilen, und das dritte, sich mit ihnen zur Stürmung des Bungalows fertig zu machen. Sieben Minuten später erreichten Lucian und Matt die Einfahrt, wo in der Tat der größere FedEx-Laster stand.
Langsam und geräuschlos schlich Lucian mit gezogener Waffe um ihn herum, während Matt und die Agenten, die eben am Bungalow eingetroffen waren, ihm Deckung gaben.
Das Fahrzeug war verlassen und leer. Das GPS hatte angezeigt, dass die Skulptur sich im Haus befand; davon konnte sich auch Lucian jetzt überzeugen. Er ging zu Matt und dem Rest des Teams zurück und machte eine Kopfbewegung zum Gebäude. Es war Zeit.
Aus den Oberlichtern strömte goldenes Licht in einen Empfangsbereich mit einem verwaisten Schreibtisch und einem halben Dutzend teuer aussehender Stühle, die an der Wand entlang aufgestellt waren. Laut dem blinkenden roten Punkt auf dem heiligen Christophorus standen sie genau an der Quelle des Signals. Tief im Gebäude auf der
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