Der Visionist
durchgeht“, verkündete Malachai. „Vielleicht finden sich darin Hinweise, wo sich die noch fehlenden Erinnerungswerkzeuge befinden. Wir besitzen Dokumente, die zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gehen. Damals hat die Stiftung Ausgrabungen im ganzen Mittleren Osten und im Mittelmeerraum finanziert. Die Objekte, die wir in Rom gefunden haben … diese Informationen hatte ich aus diesen Unterlagen. Vielleicht verbergen sich ja noch mehr solche Spuren in ihnen.“
„Was soll ich dabei unternehmen?“
„Stellen Sie sicher, dass die Kandidaten für den Job sauber sind.“
Malachai trat um eine Pfütze herum und blickte auf seine Uhr. „Ich muss zur Stiftung zurück. Noch eine Sache: HabenSie noch etwas über diesen Glass herausgefunden, den Agenten, der bei dem Einbruch verletzt wurde? Arbeitet er jetzt an diesem Fall, seit er zurück in New York ist?“
„Ich bin mir nicht sicher.“
Malachai stoppte abrupt, worauf auch Winston anhalten musste. „Was soll das heißen?“
„Er hat die gleiche Ausbildung durchlaufen wie ich. Er kennt meine Beschattungsmethoden in- und auswendig. Ich kann ihn nicht wie einen normalen Zivilisten observieren.“
„Ich muss wissen, was er weiß. Und ich muss wissen, was er unternimmt, um herauszufinden, was er noch nicht weiß.“ Malachai sprach ruhig, als verlange er Zitrone, keine Milch, für seinen Tee.
Zwei ältere weißhaarige Damen gingen an ihnen vorüber. Waren sie nur verkleidet und eigentlich hier, um ihn zu beobachten? Der Mann mit dem grauen Pudel – war der auf ihn angesetzt? Oder die Frau mit dem Kinderwagen? Es ärgerte ihn, dass Paranoia in ihm hochstieg, aber seltsamerweise fühlte er sich sicherer dadurch.
„Sie kriegen bessere Informationen über Agent Glass. Das verspreche ich Ihnen.“
„Das hoffe ich doch. Versprechen nützen mir nichts.“
15. KAPITEL
Charlie Danzinger nahm mit einem Dachshaarpinsel ein hauchdünnes Stück Blattgold auf und applizierte das vierzehn Karat teure Blättchen auf ein Band, das um den Knöchel der Statue lief. Nach dem Trocknen wischte er das überstehende Blattgold ab, trat zurück und begutachtete seine Arbeit. Durch das Edelmetall wurde aus einem gewöhnlichen Sandalenriemen ein kleines Meisterwerk. Er war zufrieden.
Der Torso der Statue schien aus Holz geschnitzt, die Hände, Füße und das Gesicht aus Elfenbein. Mit einer Größe von zweieinhalb Metern war der griechische Gott mehr als nur beeindruckend – seine Präsenz dominierte den gesamten Raum. Nur wenige Besucher durften den Restaurator in seiner Werkstatt im Südflügel des Museums aufsuchen, und alle, die das Geheimprojekt zu Gesicht bekommen hatten, waren überwältigt von der Größe und Erhabenheit der Statue. Doch am meisten interessierte sich die angesehene Kuratorin Marie Grimshaw für den Hypnos. Auch jetzt saß sie auf einem Schemel in der Ecke und schaute Danzinger bei der Arbeit zu.
In den letzten fünf Monaten war sie täglich zweimal in der Werkstatt aufgetaucht und blieb immer mindestens fünfzehn bis zwanzig Minuten. Normalerweise kam sie morgens um halb elf vorbei, und dann noch einmal zwischen drei und vier Uhr am Nachmittag. Sie brachte immer Kaffee für sie beide mit. Beim ersten Mal hatte sie Danzinger gefragt, wie er Kaffee am liebsten trank. Schwarz, mit einem Stück Zucker , hatte er geantwortet, und sie hatte gelächelt. „Das ist leicht zu merken“, hatte sie gesagt. „So trinke ich meinen Kaffee auch.“
Marie hatte Danzinger nie erklärt, warum sie ihn so oft besuchte. Sie war offensichtlich fasziniert von der Statue, an der er arbeitete, aber er hatte das Gefühl, sie wusste selbst nicht so recht, warum. Er fragte sie nicht. Es ging ihn nichts an. Außerdem gefiel es ihm, wenn sie bei ihm vorbeischaute und ihmGeschichten vom Museum erzählte. Er war schüchtern und hatte Schwierigkeiten, Menschen kennenzulernen. In den über achtzehn Jahren, die er schon im Museum arbeitete, hatte er nur mit wenigen Kollegen Freundschaft geschlossen. Als Marie zu ihm gekommen war, hatte er sich geschmeichelt gefühlt. Daran hatte sich nichts geändert.
Er trug mehr Blattgold auf die linke Sandale auf. Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass die Kuratorin zweimal nacheinander die Beine übereinanderschlug. So aufgeregt hatte er sie noch nie gesehen. Am Morgen war sie nicht da gewesen. Sie stand auf und ging an der Reihe Stahlschränke vorbei zu den Regalen, wo er sein Handwerkszeug aufbewahrte: Beizen, Farben, Pinsel,
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