Der Visionist
„Wir glauben, dass die Objekte auf dieser Liste zu den ursprünglichen zwölf gehören.“ Er seufzte. „Die Liste ist allerdings nicht besonders verlässlich. Die Harappa-Sprache ist erst vor Kurzem von einem Sprachwissenschaftler geknackt worden. Aber wir haben nichts anderes, und deshalb möchte ich, dass Sie mit dieser Liste arbeiten. Suchen Sie nach Hinweisen auf Objekte, die zu einer der Beschreibungen passen könnten.“
Samuels schob die Liste näher zu Elgin, der mitverfolgte, wie der Reinkarnationsexperte jedes Wort einzeln durchging. „ Topf mit wohlriechendem Wachs. Reflexionskugeln … Das könnte etwas Rundes mit einer Spiegel- oder sonst wie reflektierenden Oberfläche sein. Hologrammball. Keine Ahnung, was sich hinter einem Wort-Halter verbirgt. Bildmünzen vielleicht oder gravierte Säulen. Und Feuer- und Wasserperlen? „Sie sagten, insgesamt wären es zwölf Objekte gewesen. Und zwei sind gefunden worden. Aber auf der Liste stehen nur sechs.“
„Die Liste ist nicht vollständig.“
„Wa rum?“
„Der Übersetzer konnte die noch fehlenden vier Objekte nicht entschlüsseln.“
Eine gesunde Neugier konnte er an den Tag legen, das würde Samuels noch nicht verdächtig erscheinen. Elgin konnte noch eine oder zwei Fragen riskieren. „Woher stammt denn diese Liste?“
„Der Übersetzer ist ein guter Freund von mir. Er hat mir vor seinem Tod eine Kopie geschickt, sonst hätte ich wahrscheinlich nie von der Existenz der Liste erfahren.“
Perfekte Antwort, dachte Elgin. Lucian würde sich wahnsinnig darüber ärgern. Wenn der Übersetzer wirklich tot war, dann gab es niemanden mehr, der bezeugen konnte, ob der Mann die Liste wirklich an Samuels geschickt hatte oder nicht.
„Das ist alles unglaublich spannend!“, sagte er. Er brauchte sein Interesse nicht zu heucheln; er hatte Feuer gefangen.
Im Schein der Deckenlampen blitzte eine fast irre Begeisterung in den kleinen dunklen Augen Samuels auf. „Spannend und höchst vertraulich.“
Auch oben in seinem Büro hatte Samuels schon darauf hingewiesen, dass die Arbeit in der Bibliothek der Geheimhaltung unterlag. Elgin nickte ernsthaft. „Ich verstehe.“
„Bill Hawkes hat mich wissen lassen, dass Sie in der Library of Congress bei mehreren Projekten beschäftigt waren, für die Sie einer staatlichen Sicherheitsprüfung unterzogen wurden.“
„Das ist richtig.“
„Ich nehme nicht an, dass Sie mir erzählen können, um was es bei diesen Projekten ging?“
„Nein. Die Geheimhaltungsvereinbarung gilt noch.“
Samuels nickte zufrieden, obwohl die Falle ziemlich offensichtlich gewesen war. Beiden Männern war das bewusst. Der Vorsitzende der Phoenix Foundation war von Natur aus misstrauisch, doch Elgin nahm an, er wollte seinem neuenMitarbeiter nicht gleich mit Zweifeln begegnen. Malachai lag ungeheuer viel daran, dass die Durchsicht der Dokumente möglichst schnell in Angriff genommen wurde. Und das war etwas, das die Agenten Glass und Richmond ganz sicher interessieren würde.
„Wann können Sie frühestens anfangen, was meinen Sie?“, erkundigte sich Samuels.
„Am Montag?“
„Nicht schon früher?“
„Morgen ist Freitag.“ Elgin konnte spüren, wie die Ungeduld des anderen Mannes auf ihn übersprang. „Ich kann morgen anfangen, wenn Sie wollen.“
„Das ist fantastisch.“ Samuels hielt ihm die Hand entgegen. „Willkommen bei der Phoenix Foundation, Elgin!“ Seine schwarzen Augen funkelten.
Der Mann hat Charisma , dachte Elgin. Teuflisches Charisma.
24. KAPITEL
„Entschuldigen Sie, ich habe im Stau gesteckt.“ Lucian ließ sich auf der Couch nieder und log Dr. Bellmer zum ersten Mal in der Sitzung an. Er war zehn Minuten zu spät zu James Ryans Termin um zwei Uhr gekommen. Allerdings nicht wegen des Verkehrs. Er hatte Emeline Jacobs zum NYPD-Hauptquartier begleitet, wo sie bei Chief Eric Broderick eine Anzeige wegen der Todesdrohungen erstattete. Sie ließ sich darauf ein, dass die Polizei den Computer im Laden überprüfte. Als Lucian allerdings vorschlug, eine Streife könne ein paarmal am Tag beim Laden vorbeischauen, lehnte Emeline das ab. Lucian erklärte ihr, dass niemand sie nach ihrer Zustimmung fragte. Es sei nun ein offizieller Fall, sagte er. Und obwohl Emeline mehrmals wiederholte, dass sie auch alleine zurück in den Laden kommen würde, hatte er sie zur Ecke Madison Avenue und 83. Straße gefahren. Er war nicht ausgestiegen, und schon gar nicht hatte er den Laden betreten oder sich erlaubt, in
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