Der Vogelmann
zog sein Jackett an. »Wenn wir jetzt noch herausfinden, wem die Mädchen gleichen sollen, wären wir schon auf halbem Weg im Old Bailey.« Er nahm seine Schlüssel heraus. »Wollen wir?«
»Wollen wir was?«
»Nach St. Dunstan, glaube ich.«
Im Einsatzbesprechungsraum herrschte rege Geschäftigkeit. Die Detectives, die wegen des frühen Sommeranfangs kurzärmlige
Hemden trugen, schleppten Akten durch die Gegend. Die Jalousien waren geschlossen, und die Lichter brannten. Marilyn Kryotos hatte unter dem Schreibtisch ihre Schuhe ausgezogen und verzehrte langsam ein Stück Cremetorte, während sie HOLMES für Jacks Befragungen im St. Dunstan Hospital vorbereitete. Sie müßte bis zu einhundertachtzig Dateien einrichten, nur um all die Querverbindungen abzudecken, die gebraucht wurden.
»Jack, Jack, Jack«, murmelte sie. »Was geht bloß in deinem Kopf vor?«
Der Eindruck, den Caffery auf Frauen machte, blieb Marilyn Kryotos, der Übermutter mit dem aufmerksamen Blick, nicht verborgen. Sie beobachtete die Sachbearbeiterinnen hinter den Bildschirmen, die die Beine überkreuzten und wieder zurückstellten, wenn er durch den Raum ging, die zerstreut nach unten griffen, um sich die Waden zu reiben und die Finger durch die Fesselriemchen gleiten zu lassen. Und er schritt gleichgültig mit desinteressierter Haltung an ihnen vorbei und hatte gelegentlich einen Schnitt vom Rasieren im Gesicht. Marilyn hegte keinerlei Zweifel darüber, was die Mädchen mit diesen Schnitten gern anfangen würden. Aber Caffery schien von alldem vollkommen unberührt zu sein; als gäbe es in seiner Welt lohnendere Beschäftigungen. Marilyn war gespannt, Veronica kennenzulernen, die berühmte, tapfere Veronica, die diese Woche eine Party geben wollte, obwohl sie sich doch gerade einer chemotherapeutischen Behandlung unterziehen mußte.
Als nach fünfmaligem Klingeln im Büro des Senior Officers niemand antwortete, wurde Bassets Anruf automatisch in den Einsatzbesprechungsraum umgeleitet, auf den Apparat neben Marilyns Schreibtisch. Detective Inspector Diamond, der gerade sein Jackett anzog und zur Tür ging, um den Durchsuchungsbefehl für Geminis Wohnung abzuholen, blieb stehen und nahm ab.
»Einsatzbesprechungsraum.« Eine Pause und dann: »Detective
Inspector Caffery ist nicht hier, Kollege. Wer möchte ihn sprechen?«
Marilyn sah auf. »Er ist in seinem Büro« , flüsterte sie.
»Er ist gerade beschäftigt. Kann ich behilflich sein?« Diamond hörte einen Moment zu und klebte einen grünen Merkzettel ans Telefon. »Wenn Sie eine Spur haben, warum nehmen Sie die Aussage dann nicht selbst auf und schicken sie uns rüber, und wenn wir sie brauchen können, gehen wir der Sache nach.« Er brach ab. »Also gut, Kollege, ganz wie Sie meinen.« Er zog einen Stift heraus, nahm die Kappe ab und beugte sich hinunter, um etwas aufzuschreiben. »Was haben Sie denn für mich?«
Er schrieb schnell ein paar Notizen auf, warf einen gierigen Blick auf Marilyns Cremetorte, hörte zu, steckte die Kappe wieder auf den Stift, klemmte sich den Hörer unters Kinn, sah wieder auf die Torte und kratzte abwesend das Fußgelenk über seiner Socke. Wieder bedruckte Socken, bemerkte Marilyn. Diesmal mit Wallace und Gromit. Ungefähr das, was sie erwartet hätte. Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
»Hören Sie, Mr. Basset, Basset ! Wenn ich auch mal was sagen darf. Danke. Jetzt sagen Sie mir: Sprechen wir hier von einem ICI, einem männlichen Weißen? Das tun wir? Gut. Und diese Frau kommt ständig aufs Revier gerannt?« Er hörte zu und lächelte. »Ich verstehe. Nein, nein, nein. Wir nehmen jeden Hinweis ernst. Danke für den Tip. Ich gebe ihn an die Einsatzmannschaft weiter. In Ordnung?«
Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, stand er auf, streckte sich und kratzte sich am Bauch. »Himmel.« Er gähnte. »Genau der Mist, der angeschwemmt wird, sobald die Öffentlichkeit von etwas Wind bekommen hat.« Er leckte sich über seine Lippen. »Wo ist Ihre Akte Nummer dreizehn, Süße?«
Marilyn sah auf. »Wie bitte?«
»Wo ist der Abfall?«
Mit dem bloßen Fuß zog sie den Abfallkorb für vertrauliche Papiere unter dem Schreibtisch hervor. »Der Reißwolf ist außer Betrieb. Sie müssen das hier benutzen.«
»Sie sind ein liebes Mädchen. Wissen Sie das?« Er knüllte das Papier zusammen, trat ein paar Schritte zurück und warf es in den Korb. »Verdammte Füchse.«
»Verdammte Detectives«, sagte Marilyn leise. Vorsichtig wischte sie sich mit einem
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