Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Waechter

Der Waechter

Titel: Der Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. Snyder
Vom Netzwerk:
beobachtete sie wie ein Bluthund. Zunehmend wurde er unruhig. Irgendwann stand er von seinem Stuhl auf, ging ans Fenster und blickte aufmerksam hinaus. Dann stolzierte er wieder zurück und setzte sich. Das Ganze wiederholte er in regelmäßigen Abständen. Jenny war überzeugt davon, dass er das nur tat, um sie abzulenken. Draußen schien die Sonne. Mit fast zwanzig Grad war es warm für Mitte März. Ein herrlicher Tag. Viel zu schön, um nachzusitzen.
    Drei Minuten vor halb drei ging Jenny den letzten Absatz an. Die Freiheit rückte in greifbare Nähe. Hauptmann war gerade wieder zum Fenster gelaufen, setzte sich auf einen der Schreibtische und sah hinaus. Jenny hörte, wie er ruckelnd Luft holte und schließlich laut schallend nieste. Für einen Moment glaubte sie, ein rötliches Licht um ihn aufflackern zu sehen. So kurz, dass es kaum in ihr Bewusstsein drang.
    «Gesundheit», brummte sie.
    «Danke!» Hauptmann ging zurück zum Lehrerpult und lehnte sich mit dem Blick zu Jenny daran.
    Plötzlich wurde ihr komisch. Sie konnte es nicht genau definieren, aber es hatte sich etwas verändert. Von unten herauf sah sie zu Hauptmann. Er schien sie nicht zu beachten, lehnte lässig am Pult und blickte zur Seite aus dem Fenster. Jenny spürte, wie ihr Bauch sich zusammenzog. Ihre Energie sammelte sich in ihrer Körpermitte. Was war los? Instinktiv sah sie wieder in ihr Buch und tat so, als würde sie lesen und Notizen machen. Ihr Hirn lief auf Hochtouren, die Müdigkeit wie weggeblasen. Etwas ging vor sich. Hier im Zimmer war nur Hauptmann, der sich ebenso zu langweilen schien, wie sie es gerade noch getan hatte. Aber was war draußen bei Konrad los? Irgendwas hatte ihre Energie automatisch erweckt. Vielleicht spielte sich auf dem Pausenhof etwas ab, was ihre Anwesenheit erforderte. Jenny streckte geistesgegenwärtig ihren Finger in die Höhe.
    «Ich müsste mal aufs Klo», sagte sie.
    Hauptmann grummelte etwas Unverständliches und wies ihr dann mit einem Kopfschlenker zur Seite die Tür. Jenny richtete sich gerade auf, als Hauptmann noch einmal ruckelnd die Luft durch die Nase einsaugte und dann kläffend nieste. Schnell kramte er in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch. Jenny war gerade an Hauptmann vorbei, als er sich schnäuzte. Mit der Gewalt des Schnäuzens schien etwas Unsichtbares Jenny zu berühren. Sie spürte es nicht wie einen Finger, der sie antippte. Oder wie ein Papierkügelchen, das Gerd auf sie spuckte, sondern sie spürte es in Gedanken. So wie damals, als Konrads Erinnerung sich an ihre Energie gehaftet hatte. Da überkam Jenny noch eine viel heftigere Übelkeit. Eine, die sie so schon einmal wahrgenommen hatte. In der Nacht, in der Arthur von dem dunklen Mächtigen angegriffen wurde. Was passierte mit ihr? Langsam ging sie weiter. Gerade als sie die Klinke der Klassenzimmertür in der Hand hatte, sah sie das Bild. Das Bild der Erinnerung, die von Hauptmann auf sie übergegangen war. Wie konnte das sein?
    Es ist dunkel. Sie steht in einem Wald. Durch eine lichte Stelle im Dickicht kann sie Abschnitte eines Parkplatzes sehen. Ihr liegt ein stinkender, schwitziger Männerduft in der Nase. Links und rechts von ihr stehen zwei Männer. Große, starke Männer. Sie schauen böse und aggressiv nach vorn. Sie folgt ihren Blicken. Und sieht Arthur! Sie kann sein Licht nicht wahrnehmen. Sie kann sich nicht bewegen, nicht den Körper verlassen. Die Energie, in der sie sich befindet, ist ruhig und selbstsicher, aggressiv und machtlüstern.
    «Was wollt ihr?», fragt Arthur in ihre Richtung.
    «Das Mädchen!», antwortet es aus Jenny heraus.
    Jetzt erkennt sie auch die Stimme, den Duft.
    Hauptmann! Er war der mächtige Dunkle, der Arthur überfallen hatte. Und er wusste, wer sie war. Er war hier mit ihr im Zimmer und das schon zum tausendsten Mal. Musste sie deswegen nachsitzen? Damit er den richtigen Moment abpassen konnte, um sich ihrer zu bemächtigen? Sie waren alleine im Schulgebäude. Um diese Tageszeit war das ganze Schulgelände wie ausgestorben. Kein noch so lauter Hilfeschrei konnte bis ins Wohngebiet gelangen. Eher würde er auf der Rückseite im Wald verhallen.
    Zögerlich drückte Jenny die Türklinke nach unten. Sollte sie sich umdrehen und ihn ausbremsen?
    Behalt bloß dein Fragment bei dir!
    Wenn er sich an ihre Energiegestalt in seinem Schutzschild während des Überfalls auf Arthur erinnerte, an den kurzen Moment, in dem sie sich gegenseitig lesen konnten, wusste er, dass sie ihn in der Nacht

Weitere Kostenlose Bücher