Der Waechter
mit einem dunkelroten SUV vor dem Haus, als Jenny von Ruth am Arm hinausgeführt wurde. Sie war wacklig auf den Beinen und schaute konzentriert auf ihre Füße, um nicht zu stolpern.
Direkt neben Konrad zu sitzen war ein wohlig schauriges Gefühl. Einerseits sorgte seine abweisende Haltung dafür, dass es Jenny vorkam, als drücke sie sich an eine Käsereibe, andererseits fühlte sich seine Nähe an, wie in eine warme, kuschelige Decke gehüllt zu sein. Wie durch eine unsichtbare Kraft fühlte sie sich bei ihm sicher. Bei jedem anderen, der sich ihr gegenüber so verhielte, hätte sie geglaubt, dass er sie hasse. Aber bei Konrad war es anders. Wieder dieses seltsame Gemisch, das sie nicht beschreiben konnte. Auf Jenny wirkte er verärgert, aber aus irgendeinem Grund bemühte er sich, seine Verärgerung hinter gespielter Gleichgültigkeit zu verbergen.
Was hat das alles zu bedeuten?
Und was war überhaupt passiert?
Sie war durch die Stadt gebummelt. Und dann? Sie konnte keinen klaren Gedanken zu Ende führen.
Später, nicht jetzt!
« Es wird etwas dauern, bis du dich erinnerst », sagte Konrad, als wisse er genau, was gerade in ihr vorging.
Das tröstete sie, als hätte er den Arm um sie gelegt, sie fest an sich gedrückt und ihr übers Haar gestrichen.
« Was ist passiert? Und wieso bist du böse auf mich? », kam es ihr ungewollt über die Lippen.
Konrad schwieg.
« Wie bin ich zu der Frau gekommen? Und was hast du dort gemacht? Ist sie deine Mutter? Was ist geschehen? »
Vor ihrem Wohnhaus hielt Konrad an.
« Die Erinnerung wird kommen und Ruth wird dir morgen alles genau erzählen. Es wäre zu viel auf einmal. Vertrau mir! » Konrad sah sie an. Seine Augen wirkten sanft und ruhig.
Die Verärgerung, die Jenny kurz zuvor um ihn herum gespürt hatte, war verschwunden. Sie glaubte ihm. Sie vertraute ihm.
Sei vorsichtig! Mit dem stimmt doch was nicht!
Jenny bemühte sich, möglichst elegant aus dem Wagen zu steigen.
« Alles wird gut », hörte sie Konrads Stimme hinter sich.
Noch einmal drehte sie sich zu ihm um, und als sich ihre Blicke trafen, war ihr zum Weinen zumute. Sie wollte sich auf ihn stürzten, ihn schütteln und zwingen zu sagen, was geschehen war, losheulen, ihm um den Hals fallen und in seinen Kragen schluchzen.
« Danke fürs Heimfahren! »
Kraftlos lächelte sie ihn an. Es war und blieb seltsam, was zwischen ihnen geschah.
Vor der Haustüre angekommen, zog Jenny klimpernd den Schlüssel aus der Hosentasche.
« Scheiße, wo ist mein Rucksack? Mist! »
Sie musste ihn bei dieser Ruth vergessen haben. Zum Glück war ihr das noch aufgefallen. Ihrer Mutter würde es nämlich bestimmt nicht entgehen.
« Ah du bist es! Du bist aber früh da. Wo sind denn deine Sachen? » Jennys Mutter schaute zur Küche in den Flur hinaus.
Jenny spürte, wie ihr die Tränen kamen. Am liebsten hätte sie ihrer Mutter das Herz ausgeschüttet. Doch was genau sollte sie erzählen? Dass sie sich nicht mehr erinnern konnte, wo sie gewesen war? Dass sie in einem fremden Haus bei einer fremden Frau aufgewacht war, sie ein fremder Junge heimgefahren hatte? Das Erste was ihre Mutter machen würde, wäre die Polizei zu verständigen, Konrad suchen zu lassen und zu behaupten man habe ihrer Tochter Gewalt angetan. Was sonst sollte die derart verdrängen, dass sie sich an nichts mehr erinnern konnte? Doch so war es nicht. Konrad hatte ihr nichts getan. Und auch nicht Ruth. Es war ein inneres Wissen in Jenny. Etwas war geschehen, aber Ruth und Konrad hatten ihr geholfen. « Hab ich bei Corinna vergessen. Ich hatte wieder Kopfschmerzen und bin nicht ins Training », antwortete sie ihrer Mutter.
« Und wieso bist du nicht gleich nach der Schule heimgekommen? »
« Bin auf Corinnas Couch eingeschlafen, mit einer Schmerztablette. Ihre Mutter hat mich heimgefahren. »
Jenny war selbst überrascht, wie leicht ihr die Lügen über die Lippen flossen. Sie würde sich morgen darum kümmern, wo ihr Rucksack geblieben war.
« Ah! Das war aber nett von ihr. Und was ist mit den Kopfschmerzen? »
« Besser. » Jenny eilte in ihr Zimmer, schloss die Tür, trat sich die Schuhe von den Füßen und ließ sich erschöpft aufs Bett fallen.
Trotz der niederen Temperaturen draußen, war ihr warm. Sie zog sich bettfertig an und öffnete das Fenster. Da es schon seit Monaten kaputt war, ließ es sich nicht mehr kippen und so öffnete sie es ganz und steckte ein Buch dazwischen, damit es nicht zufiel. Ein Blick auf die Uhr zeigte
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