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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sein?“
    Erst auf diese Frage hin, auf die der Komsomolze nur mit den Schultern zuckte, wurde sein Gesicht finster.
    „Wir werden sehen“, sagte er mit gedämpfter Stimme.
    Und wieder flog der Propellerschlitten wie ein Pfeil über die Schneewüste. Hin und wieder hielt Zybulnik kurz an und überblickte aufmerksam die weißen Felder, aber nirgends hob sich etwas aus dem Weiß hervor. Und wieder schwoll der Lärm des Propellers an und zerschnitt mit seinen Blättern die kristallklare, frostige Luft.
    Pawel verlor völlig die Orientierung, denn es gab eigentlich nur zwei Anhaltspunkte: das Lager und die Hütte am Flugplatz. Er blickte sich ebenfalls nach allen Seiten um, konnte sich dabei aber nicht so recht vorstellen, was er entdecken sollte. Freilich, am schönsten wäre es gewesen, seine beiden sich über den Schnee schleppenden Kameraden zu sehen, aber in dieser Ebene wären Menschen auch aus der Ferne sichtbar gewesen, und der Umstand, dass Zybulnik den weißen Schnee so aufmerksam betrachtete, und es dort doch gar nichts gab, bestürzte den Volkskontrolleur und bereitete ihm Kummer.
    Plötzlich machte der Komsomolze eine heftige Bewegung, drosselte die Geschwindigkeit, wendete den Propellerschlitten und ließ ihn ganz mechanisch wieder zwanzig oder dreißig Meter zurückfahren.
    Dobrynin begriff nicht, was da vor sich ging, und sah Zybulnik fragend an.
    „Dort war etwas …“, antwortete der Komsomolze auf den fragenden Blick seines Fahrgastes.
    Sie stiegen aus der Kabine, und nun schritt Zybulnik auf die Kufenspuren im Schnee zu, die ihr Fahrzeug soeben hinterlassen hatte. Pawel folgte ihm.
    Bei der doppelgleisigen Spur angekommen, folgte ihr der Komsomolze, schritt vorsichtig voran und verlagerte dabei sein Körpergewicht immer auf das gerade nicht angehobene Standbein.
    Zybulnik hatte nicht mehr als zwanzig Schritte getan, da hielt er an und ging in die Hocke. Dann drehte er sich um und winkte Pawel mit der Hand, der etwas entfernt stand.
    Zu zweit befreiten sie einen Hundeschlitten aus dem Schnee, der vom Propellerschlitten beschädigt worden war. Daneben war ein Stück Plane im Schnee sichtbar. Es gehörte zu einem großen Sack, in dem einmal Ladegüter mit Fallschirmen abgeworfen worden waren. Darin lag eine einzige Büchse mit gewürztem Schweinefleisch, die auf einer Seite eingedrückt war.
    „Also“, sagte der Komsomolze langsam, „sie waren also im Lager. Lass uns von dieser Stelle aus im Kreis gehen, aber tritt vorsichtig auf!“
    Pawel verstand nicht ganz, wie man von einer Stelle aus im Kreis gehen konnte, und der Komsomolze musste es ihm vorzeigen. So spulten also der Komsomolze und Pawel einen Knäuel von Spuren im Schnee ab, die eine neben der anderen dicht beieinanderlagen, und zogen dabei einen immer größer werdenden Kreis, beide mit düsterer Miene und in unangenehmer, ein Frösteln erzeugender Erwartung.
    „Halt!“, rief plötzlich Zybulnik und war selbst stehen geblieben. „Komm her!“
    Gemeinsam gruben sie Fjodor aus dem Schnee aus. Fjodor lag mit seitlich ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Sein ungewöhnlich rot-gelbes Gesicht war in einem seltsam verkniffenen Ausdruck erstarrt, mit vielen Falten um die Augen.
    Sie hoben den erfrorenen Kameraden hoch, trugen ihn in die Mitte des Kreises zum Schlitten, drehten dann um und fuhren mit dem Umkreisen fort.
    Während er kleine Schritte machte und einen Fuß vor den anderen setzte, dachte Pawel über diesen entsetzlich sinnlosen Tod nach und darüber, dass sich der Pilot und Fjodor ausgerechnet wegen des Pferdes auf den Weg gemacht hatten. Und jetzt, als klar war, dass seine Gefährten umgekommen waren und das Pferd Grigorij weggelaufen war und diesen schrecklichen Schneesturm mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht überlebt hatte, war es Dobrynin, als hätte jemand mit einem scharfen Messer den langen Weg seines Lebens durchgeschnitten, auf dem er seit seiner Kindheit in die Zukunft schritt, genauer gesagt, als hätte jemand aus diesem Weg ein Stückchen herausgeschnitten. Und es schien, als wäre dieser Weg, der Weg der Vergangenheit, in jener Stunde durchschnitten worden, als Walerij Palytsch und Fjodor zum Lager aufgebrochen waren, und das neue Stück, ein völlig anderes und eher dem Beginn eines fremden Weges ähnlich – dem Weg eines anderen –, würde irgendwann später einmal auftauchen. Aber das, was jetzt mit ihm geschah, in dieser Schneewüste, das kam ihm wie eine Verwechslung vor oder sogar wie ein Fehler.

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