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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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konnte also genauso gut Oper singen.
    Unvorstellbar, Christian Reuther unverrichteter Dinge ins Opernhaus zurückkehren zu lassen. »Einarsson hat abgesagt. Er ist jetzt was Besseres! Er singt ›Lieder‹«. Thorvald hörte bereits den verächtlichen Ton, mit dem er das Unwort aussprechen würde. Er, der designierte Erik, nicht Senta, würde am Sonntagabend der eigentliche Erlöser sein.
    Thorvald brachte es nicht übers Herz, abzulehnen.
    »Thorvald, du bist ein Engel!« Christian Reuther sprang auf und drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Stirn. Er strahlte. Er hatte soeben den Mann engagiert, der dabei war, den Olymp der Tenöre zu besteigen. Und er, der große Christian Reuther, würde ihn dorthin begleiten. Mit ihm, Hand in Hand, den tosenden Applaus entgegennehmen. »Noch heute fangen wir an!« Er hüpfte wie ein Kind um den Tisch herum und zog Thorvald mit sich fort. »Mein Wagen steht dort hinten. Auf! Marsch! Du leuchtender Stern am Bühnenhimmel!«
     
    Roman war zufrieden, »die Kinder« in der Nähe zu wissen, auch wenn die Umstände keinen Anlass zur Freude gaben. Und er hoffte inständig, dass Olga sich bald beruhigen würde und sie in Ruhe miteinander reden könnten.Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gesponnen, als seine Tochter durch die Tür kam. Gelassen, gar nicht überrascht, dass ihr Vater allein im »Luis« saß, gab sie ihm zu verstehen, dass sie gleich zu ihm kommen würde. Sie ging zum Tresen und bestellte sich ein Bier, dann machte sie kehrt und trat zu ihrem Vater an den Tisch. Nachdem sie sich mit einem Kuss begrüßt hatten, setzten sie sich einander gegenüber.
    »Du hast dich lange nicht gemeldet. Muss ich mir Sorgen machen?«, fragte Roman. »Ich habe das Gefühl, ich sollte mich um dich kümmern.«
    »Warum?«, fragte Olga ehrlich erstaunt.
    »Ich habe dich ein wenig aus den Augen verloren, weil ich gar nicht bemerkt habe, wie schnell die Zeit vergangen ist.«
    Olga dachte an seine junge Freundin. »Das ist so bei Verliebten.«
    »Höre ich da einen verbitterten Unterton. Sind Thorvald und   …«
    Olga hob schnell die Hände und unterbrach ihren Vater. »Frag jetzt bitte nicht, wann ich endlich Thorvald heirate oder so was.«
    »Hatte ich gar nicht vor.« Roman sah ihr fest in die Augen, als ob er so Olgas Seelenzustand verstehen könnte.
    »Viel mehr interessiert mich, was du in Hamburg so treibst. Sitzt du immer noch in Cafés und zeichnest die Leute?«
    »Klar! Ich kann nun mal besser zeichnen als reden. Du glaubst ja gar nicht, was sich da angesammelt hat. Meist sind es komische Sachen, die da entstehen. Gezeichnete Kurzgeschichten, lauter Situationskomik.«
    Olga schwenkte mit einem Kopfnicken ihr Weinglas. Sie dachte an ihren Arbeitstisch, der vor dem Fensterstand, vollgepackt mit Zeichnungen, teilweise überarbeitet und vorsortiert in Zeichenmappen. »Ein belgischer Verlag ist interessiert.«
    Romans Gesicht hellte sich auf. »Ich drücke dir die Daumen.«
    Olga stützte ihren Kopf mit den Händen ab und schaute ihren Vater lange an. »Immer, wenn ich dich sehe, vermisse ich dich.«
    Roman zog die rechte Augenbraue hoch.
    »Dann möchte ich mit dir nach Hause gehen, oben in meinem Zimmer sein, dein Lachen hören, das von unten hinaufhallt, das Türeknallen der Patienten, Mamas Gesang. Selbst Lissys Gezeter fehlt mir manchmal. Wenn ich dann in Hamburg bin, ist alles wieder weg.«
    »Dann musst du mich öfter besuchen, dein Zimmer ist noch da. Kein Grund also zur Trauer.«
    »Ich bin nicht traurig. Ich bin   … ich bin verunsichert. Ich glaube, das fing an, als ich mit meiner Reisetasche den steilen Weg hinaufkam. Da hat mich irgendetwas gepackt. Ein komisches Gefühl, und das hat mich seitdem im Griff.« Olga lehnte sich zurück und sah sich im »Luis« um, als fände sie dort die richtigen Worte an den Wänden. »Ich bin mit so viel Vergangenheit konfrontiert worden: das Klassentreffen, die ganzen Leute, Thorvald, Benno, unser Wald, die Bäche, die Wiesen, ich habe Gudrun Himmelreich gesehen   …«, sie schüttelte ungläubig den Kopf, »…   die Sekretärin. Ich wusste gar nicht, dass es die noch gibt. Hier hat sich überhaupt nichts verändert. Das ist fast unheimlich. Ich will einen Schlussstrich ziehen. Ich will mich endlich um den Verkauf der Hütte kümmern. Wenn du das schon nicht schaffst!«
    Ihr Vater runzelte die Stirn. »Aber warum?«
    »Weil sie verfällt. Ich kann das nicht mitansehen. Ichfühle mich nun mal für sie verantwortlich. Sie war mein

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