Der Wanderchirurg
Publikum zeigten sich so begeistert. Nicht wenige Menschen blickten scheu, ja sogar ängstlich drein. War doch echte Zauberei im Spiel?
Unruhe machte sich breit, schon steckten einige Leute die Köpfe zusammen und schickten sich an, den Platz zu verlassen, als plötzlich ein Ruck durch die Menschen ging. Abermals konnten sie nicht glauben, was sie sahen: Tonio, der Turner, hatte sich verdoppelt. Neben ihm stand ein Jüngling, der ihm aufs Haar glich!
Nur langsam begannen die Leute zu begreifen, dass sie es mit Zwillingen zu tun hatten und dass sich dadurch der Zaubertrick ganz einfach erklären ließ: Tonio musste sich unbemerkt an der Hinterseite des dicken Buchenstamms herabgelassen haben, während alle Augen auf dem verzweifelten Zerrutti geruht hatten. Dann war er nach hinten in den Schatten der anderen Bäume verschwunden, hatte sich dort versteckt, um schließlich wieder hervorzukommen und, zusammen mit Lupo, das Rätsel zu lösen. Erst zaghaft, dann immer stärker werdend, setzte gewaltiger Jubel ein. Die Menschen klatschten, diesmal mit uneingeschränkter Begeisterung, bis ihnen die Hände wehtaten.
Der Magister, der wie alle anderen aufgesprungen war, schrie: »Hätte nie gedacht, dass Zerrutti freiwillig seine Tricks preisgibt, aber wie man sieht, kommt's an!«
»Es war auch schwer genug, ihn dazu zu bewegen, das kannst du mir glauben.«
»Wieso?« Der Magister unterbrach sein Klatschen.
»War das etwa deine Idee?«
»Arturos und meine. Wir fanden, dass es besser ist, wenn die Leute sehen, dass bei uns alles mit rechten Dingen zugeht. Sind wir erst an höherer Stelle als Hexer denunziert, ist der Kerker nicht mehr weit.«
»Bei den Hörnern des Leibhaftigen! Wer wüsste das besser als wir.« Der Magister schwieg betreten. »Hätte selbst auch drauf kommen können. Aber der Mensch neigt zum Vergessen, wenn es ihm gut geht.« Erneut begann er zu klatschen. »Trotzdem finde ich es bemerkenswert, dass ihr Zerrutti von seiner Geheimniskrämerei heruntergekriegt habt.«
»Wir haben ihn einfach daran erinnert, dass die Nummer mit dem Clown und dem Nachthemdmann nicht halb so gut ankäme, wenn sie am Schluss nicht mit dem Kohlkopf erklärt würde. Manchmal ist es besser, man spielt mit offenen Karten. Außerdem hat Zerrutti immer noch seine Sägenummer mit Maja, bei der bis heute niemand weiß, wie sie funktioniert.« Vitus nahm den Magister beim Arm, und gemeinsam schlenderten sie zur Wagenburg zurück.
»Richtig. Und auch da dürften die Leute jetzt glauben, dass es kein Teufelswerk ist, weil sie gesehen haben, dass alles andere sich erklären lässt.«
»Möchtest du nicht von der Suppe, Tirzah?« Vitus stand neben dem großen Kessel und hielt die Schöpfkelle in der Hand. »Sie ist wirklich gut.« »Nein danke.«
»Aber du musst etwas essen!« Er blickte Hilfe suchend in die Runde. »Wir kampieren jetzt schon drei Tage hier, und in der ganzen Zeit hast du kaum etwas zu dir genommen. Was ist mit dir los?«
Tirzah schürzte trotzig die Lippen und blickte ins Feuer. »Ich habe keinen Hunger. Lass mich in Ruhe.«
»Wie du meinst.« Vitus zuckte mit den Schultern und setzte sich zu den anderen. Er würde schon herausbekommen, was sie hatte.
An den folgenden Tagen fuhren sie beständig nach Norden, weiter und immer weiter, am Ufer eines Flusses, den die Einheimischen Besaya nannten.
Eines Abends überraschte Vitus Tirzah, wie sie in gekrümmter Haltung hinter dem Wagen stand und die Hände in den Schoß presste. Als sie bemerkte, dass er sie sah, wollte sie fortlaufen, doch Vitus war schon neben ihr.
»Was hast du, Tirzah? Es sieht so aus, als hättest du Schmerzen?«
»Es ist nichts. Es geht mir gut.« Sie richtete sich wieder auf und versuchte, ein gleichgültiges Gesicht aufzusetzen.
»Tirzah!« Vitus wurde energisch. »Nicht nur, dass du seit Tagen kaum isst, nicht nur, dass du so tust, als wäre ich Luft für dich, nein, jetzt lügst du mich auch noch an. Du hast Schmerzen, das sieht doch ein Blinder. Also, was ist los?«
Tirzah brach in Tränen aus.
Vitus fühlte die Hilflosigkeit, die alle Männer befällt, wenn sie sich einer weinenden Frau gegenübersehen.
»Komm, komm«, flüsterte er, »so war's ja nicht gemeint, ich dachte nur, dass du Schmerzen hättest im, äh ... Unterleib.« Tirzahs Schluchzen verstärkte sich. Er kam sich sehr unbeholfen vor und nahm sie in den Arm.
»Weine doch nicht.« Zu seiner Überraschung wurde sie plötzlich ganz weich und legte den Kopf an seine
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