Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
Konnte er es sich angewöhnen, in einer solchen Schlacht nicht zu erstarren? Er konnte lernen, anderen Schmerzen zuzufügen. Oder?
Du bist das, was du bist.
Was tat man, wenn man nicht wusste, was man war? Oder was man sein wollte?
Endlich hatte er Herdstein erreicht. Die ungefähr hundert Häuser standen in Reihen nebeneinander; ein jedes war wie ein Keil geformt, dessen Spitze auf die Sturmseite hinwies. Die Dächer bestanden aus dickem Holz und waren geteert, um den Regen abzuhalten. Die Nord- und Südseiten verfügten nur selten über Fenster, aber die Vorderfronten – die auf der sturmabgewandten Seite nach Westen zeigten – bestanden fast nur aus Fenstern. Wie die Pflanzen im Sturmland wurde das Leben der Menschen hier von den Großstürmen bestimmt.
Kals Haus lag am Ortsrand. Es war größer als die meisten anderen und besaß ein Operationszimmer mit einem eigenen Eingang. Die Tür dazu stand halb offen, also spähte Kal hinein. Er hatte erwartet, seine Mutter beim Saubermachen zu sehen, doch stattdessen musste er feststellen, dass sein Vater schon von Hellherr Wistiows Haus zurückgekehrt war. Lirin saß am Rande des Operationstischs, hatte die Hände in den Schoß gelegt und den kahlen Kopf geneigt. Seine Brille hielt er in der Hand und wirkte erschöpft.
»Vater?«, fragte Kal. »Warum sitzt du hier im Dunklen?«
Lirin schaute auf. Sein Gesicht war ernst, er wirkte abwesend.
»Vater?«, fragte Kal und wurde immer besorgter.
»Hellherr Wistiow ist von den Winden weggetragen worden. «
»Er ist tot ?« Kal war so entsetzt, dass er seine verletzte Seite ganz vergaß. Wistiow war doch immer da gewesen. Er konnte gar nicht tot sein. Was war mit Laral? »Letzte Woche ist er doch noch gesund gewesen!«
»Er war schon immer gebrechlich, Kal«, sagte Lirin. »Der Allmächtige ruft jeden Mann irgendwann in das Reich des Geistes.«
»Hast du nichts dagegen getan?«, platzte Kal heraus und bedauerte seine Worte sofort.
»Ich habe alles getan, was ich konnte«, sagte sein Vater und stand auf. »Vielleicht hätte ein Mann mit einer besseren Ausbildung als ich … Nun, Reue hat jetzt keinen Sinn mehr.« Er ging zur Seite des Zimmers und entfernte die schwarze Decke über der Kelchlampe voller Diamantkugeln. Sie erhellte den Raum sofort und loderte wie eine winzige Sonne.
»Also haben wir keinen Stadtherrn mehr«, sagte Kal und hob die Hand an den Kopf. »Er hatte keinen Sohn …«
»Kholinar wird uns einen neuen Stadtherrn geben«, sagte Lirin. »Der Allmächtige möge ihnen zur Wahl Weisheit verleihen. « Er betrachtete die Kelchlampe. Es waren die Kugeln des Stadtherrn. Sie mochten ein kleines Vermögen wert sein.
Kals Vater breitete das Tuch wieder über den Kelch, was den Raum in die Finsternis zurückschleuderte. Kal blinzelte, während sich seine Augen auf die veränderten Lichtverhältnisse einstellten.
»Er hat sie uns hinterlassen«, sagte Kals Vater.
Kal fuhr zusammen. »Was?«
»Du sollst nach Kharbranth gehen, sobald du sechzehn Jahre alt bist. Diese Kugeln werden dir die Ausbildung bezahlen. Hellherr Wistiow hat darum gebeten, als letzten Akt der Fürsorge für seine Stadt. Du wirst ein wahrer Meisterchirurg werden und dann nach Herdstein zurückkehren.«
In diesem Augenblick wusste Kal, dass sein Schicksal besiegelt war. Wenn Hellherr Wistiow es verlangt hatte, dann würde er tatsächlich nach Karbranth gehen. Er drehte sich um und verließ das Operationszimmer. Draußen trat er ins Sonnenlicht – zu seinem Vater aber sagte er kein weiteres Wort.
Er setzte sich auf die Treppe. Was wollte er denn aber wirklich? Er wusste es nicht. Darin bestand die größte Schwierigkeit. Ruhm, Ehre, die Dinge, die Laral gesagt hatte … nichts davon bedeutete ihm wirklich etwas. Doch er hatte etwas gefühlt, als er den Kampfstab in der Hand gehalten hatte. Und nun war ihm die Entscheidung plötzlich abgenommen worden.
Die Steine, die ihm Tien gegeben hatte, befanden sich noch in seiner Tasche. Er zog sie hervor, nahm seine Flasche vom Gürtel und wusch die Steine mit Wasser. Der erste, den er geschenkt bekommen hatte, zeigte weiße Wirbel und Schichten. Es hatte den Anschein, als enthalte auch der zweite ein verdecktes Muster.
Es sah wie ein Gesicht aus, das ihn anlächelte, und es bestand aus weißen Stückchen im Fels. Unwillkürlich musste Kal lächeln, auch wenn das Bild schnell wieder verblasste. Ein Stein würde seine Probleme nicht lösen.
Während er lange dasaß und nachdachte, kam er zu
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