Der weite Himmel: Roman (German Edition)
sich in ihren Augen wider. Auf die Furcht hätte er gut verzichten können. »Ich wollte dich nicht erschrecken, Will. Ich glaube, ich habe mich eine Minute lang vergessen.« Um die Stimmung zu lokkern, schnippte er mit dem Finger gegen eine Locke. »Muß an der Frisur liegen.«
Er bedauerte sein Verhalten tatsächlich, stellte sie mehr als nur ein wenig verblüfft fest. Und da war noch etwas anderes in seinem Blick. Zärtlichkeit konnte es nicht sein, nicht bei Ben McKinnon, aber vielleicht handelte es sich – bei dem Gedanken mußte sie lächeln – vielleicht handelte es sich um Zuneigung.
»Schon gut. Ich hab’ mich vermutlich selbst eine Minute lang vergessen. Muß daran liegen, daß du mich aufgeschlürft hast wie ein Glas guten Whiskeys.«
»Du hast ungefähr die gleiche durchschlagende Wirkung auf mich«, knurrte er.
»Hab’ ich das?«
Diese typisch weibliche Frage brachte sein Blut erneut in Wallung. »Bring mich nicht durcheinander. Ich bin eigentlich nur gekommen, um dir zu sagen, daß Adam und ich in die Berge reiten, um uns da mal genauer umzusehen. Zack sagt, der Nordpaß ist blockiert. Schnee. Und er meint, daß eventuell irgendwelche Jäger eure Hütte benutzen.«
»Wie kommt er denn darauf?«
»Auf einem seiner Rundflüge hat er Fährten und andere
Anzeichen dafür entdeckt.« Ben zuckte die Achseln. »Wär’ ja nicht das erste Mal, aber da ich mich ohnehin davon überzeugen will, wie stark der Paß blockiert ist, dachten Adam und ich, selbst nachzusehen.«
»Ich komme mit. Gib mir eine Viertelstunde Zeit.«
»Wir sind spät dran, vermutlich müssen wir in der Hütte übernachten. Wir können dich ja über Funk verständigen.«
»Ich komme mit. Bitte Adam, Moon für mich zu satteln, und ich packe meine Sachen.«
Es tat gut, wieder im Sattel zu sitzen, dachte Willa; gut, sich wieder in der freien Natur aufzuhalten. Moon trabte vergnügt durch den Schnee; die Stute war offenbar ebenso froh wie ihre Reiterin, sich wieder bewegen zu können. Kleine Dampfwölkchen quollen aus ihren Nüstern, und ihr Geschirr klingelte leise.
Sonnenstrahlen tanzten über den unberührten Schnee. Hier in den Bergen hielt der Frühling erst spät seinen Einzug und war nur von kurzer Dauer.
Der Schrei eines Falken durchbrach die Stille. Willa entdeckte Fährten von Hochwild und von Raubtieren, die in dieser Gegend jagten. Sie gab ja zu, daß sie das Wochenende in Big Sky genossen hatte, doch dies war und blieb ihre Welt, und je höher sie ritten, desto tiefer wurde ihre Freude, wieder daheim zu sein.
»Du siehst aus, als wärst du mit dir und der Welt völlig im Einklang.« Ben lenkte sein Pferd an ihre linke Seite, hielt die Zügel locker in der Hand und musterte Willa nachdenklich. »Was haben sie denn in diesem Nobelkurort mit dir angestellt ?«
»Alle möglichen herrlichen Dinge.« Sie legte den Kopf auf die Seite und bedachte ihn mit einem durchtriebenen Lächeln. »Sie haben mich eingeölt. Am ganzen Körper.«
»Ehrlich?« Ben verspürte ein angenehmes Pochen in der Lendengegend. »Am ganzen Körper?«
»Korrekt. Erst bekam ich ein Peeling verpaßt, und dann wurde ich eingeölt. Bist du schon mal am ganzen Körper mit Kokosnußöl eingerieben worden, Ben?«
Das Pochen verstärkte sich merklich. »Soll das ein Angebot sein, Willa?«
»Ich erzähl’s dir ja nur. Am Ende hat der junge Mann mir dann …«
»Der junge Mann?« Ben richtete sich mit einem Ruck im Sattel auf. Der scharfe Klang seiner Stimme veranlaßte den am Boden schnüffelnden Charlie, den Kopf zu heben und sein Herrchen leise winselnd anzusehen. »Was für ein junger Mann?«
»Na, der Masseur natürlich.«
»Du hast dir von einem Mann deinen …«
»Warum denn nicht?« Mit der Wirkung ihrer Worte zufrieden, drehte sich Willa zu Adam um. Das Glitzern in dessen Augen bestätigte ihr, daß ihr Bruder ganz genau wußte, welches Spielchen sie spielte. »Lily bekam eine Aromatherapie. Hat mich sehr an das erinnert, was das Volk unserer Mutter schon seit Jahrhunderten tut. Sie benutzen Kräuter und Duftstoffe, um Körper und Geist zu entspannen. Nur haben sie dem Ganzen einen wohlklingenden Namen gegeben und berechnen dir ein Vermögen dafür.«
»Bleichgesichter«, meinte Adam grinsend, »nur darauf aus, die Natur auszubeuten.«
»Ganz meine Meinung. Daher fragte ich auch Lilys Masseuse, warum sie …«
»Sie?« unterbrach Ben. »Lily ist von einer Frau massiert worden?«
»Richtig. Ich fragte sie also, wieso sie glaube,
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