Der weite Himmel: Roman (German Edition)
daß diese Anwendungen und Behandlungsmethoden ein Produkt ihres Volkes seien, da doch bereits die Indianer Schlamm, Kräuter und Öle verwendet hätten, als es im Umkreis von tausend Meilen der Rockys noch gar keine Weißen gegeben hat.«
»Wieso hatte Lily eine Masseuse und du einen Mann?«
Willa schielte zu Ben hinüber. »Weil Lily in dieser Hinsicht ein bißchen gehemmt ist. Jedenfalls kamen mir einige dieser Behandlungen sehr ursprünglich vor, und manche Öle und Cremes ähnelten denen, die unsere Großmutter in ihrem eigenen Wigwam zusammengebraut hat.«
»Heute füllen die Weißen es in bunte Fläschchen ab und geben es als ihre Erfindung aus«, fügte Adam hinzu.
Ben wußte, wann er wie ein Fisch am Haken zappelte. So verlagerte er seine Position im Sattel ein wenig. »Haben sie dich vielleicht auch mit Bärenfett eingerieben?«
Willa unterdrückte ein Lächeln. »Ich hätte es beinahe ausprobiert. Du solltest Shelly überreden, auch mal ein Wochenende dort zu verbringen, wenn das Baby entwöhnt ist. Sag ihr, sie soll nach Derrick fragen. Er ist einfach fantastisch.«
Adam lachte hinter vorgehaltener Hand, dann schnalzte er mit der Zunge und setzte sich an die Spitze der kleinen Karawane. Charlie trottete hechelnd hinter ihm her.
»Demnach hat dich dieser Typ, dieser Derrick, wohl nackt gesehen.«
»Der Anblick nackter Frauen gehört zu seinem Beruf.« Willa warf ihre Lockenpracht, an die sie sich inzwischen gewöhnt hatte, zurück. »Ich denke daran, mir regelmäßig Massagen geben zu lassen. Sie sind wirklich sehr … entspannend.«
»Darauf möchte ich wetten.« Ben legte ihr eine Hand auf den Arm und ließ beide Pferde langsamer gehen. »Verrat mir eines.«
»Was?«
»Versuchst du, mich zum Wahnsinn zu treiben?«
»Möglich.«
Er nickte. »Weil du glaubst, du bist hier draußen sicher, und weil Adam in der Nähe ist?«
Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht. »Möglich.«
»Und das ist ein Irrtum.« Blitzschnell beugte er sich zu ihr hinüber, zog sie an sich und preßte seinen Mund hart auf ihre Lippen. Dann gab er sie frei und sah leise lachend zu, wie sie ihr nervös tänzelndes Pferd beruhigte. »Ich werde mir eine Flasche Kokosnußöl besorgen, und dann wollen wir einmal sehen, wie es dir steht.«
Ihr Herzschlag setzte einmal aus. »Möglich«, wiederholte sie und trieb Moon zu einer schnelleren Gangart an.
In diesem Moment krachte ein Schuß und hallte mit einem unangenehmen Laut von den Bergen wider. Zu nah, dachte
Willa noch, bevor sich Adams Pferd aufbäumte und seinen Reiter beinahe abwarf.
»Idioten«, zischte sie durch die Zähne. »Diese gottverdammten Großstädter lernen es nie …«
»Geh in Deckung.« Ben stieß sie förmlich aus dem Sattel und benutzte sein Pferd als Schutzschild, während er sein Gewehr vom Sattelknauf riß. »Hinter die Bäume und halt den Kopf unten.«
Doch Willa hatte bereits das Blut gesehen, das durch Adams Jacke sickerte. Sie rannte, ohne zu überlegen, voller Entsetzen auf ihren Bruder zu. Ben fluchte gotteslästerlich, als er sich gegen sie warf, sie so zu Fall brachte, um sie dann mit seinem Körper zu schützen. Ein zweiter Schuß folgte.
Willa setzte sich erbittert zur Wehr; versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien, da blinde Panik von ihr Besitz ergriffen hatte. »Adam – er ist angeschossen worden. Laß mich los!«
»Unten bleiben!« Bens Gesicht war ihr ganz nah, und seine Stimme hatte einen stählernen Klang. Mit festem Griff preßte er sie in den Schnee. Charlie zitterte vor Jagdfieber, er wartete auf die Erlaubnis, vorwärtsstürmen zu dürfen. Sein wütendes Gebell verstummte erst, als Ben ihm den scharfen Befehl dazu gab.
Da er Willa immer noch mit seinem Körper schützte, konnte Ben lediglich den Kopf leicht in Adams Richtung drehen, als dieser auf dem Bauch auf sie zurobbte. »Wie schlimm ist es?«
»Weiß ich nicht.« Er hatte starke Schmerzen im ganzen Arm. »Ich glaube, er hat mehr die Jacke als mich erwischt. Will, du bist doch nicht etwa verletzt?« Er rieb mit einem schneebedeckten Handschuh über ihr Gesicht. »Will?«
»Nein. Aber du blutest.«
»Halb so schlimm. Er hat schlecht gezielt.«
Willa schloß einen Moment lang die Augen und zwang sich zur Ruhe. »Das war Absicht, kein Zufall.«
»Muß ein Gewehr mit Zielfernrohr gewesen sein«, murmelte Ben und hob den Kopf gerade so weit, daß er die Bäume und Felsen sehen konnte. Dann streichelte er seinem Hund beruhigend über das Fell. »Ich kann
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