Der weite Himmel: Roman (German Edition)
anderen längst schlappgemacht hatten.
»Ich habe alles von langer Hand geplant.« Jesse holte eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie mühsam an. »Habe die Gegend genau ausgekundschaftet. Seit ich in Montana bin, arbeite ich nämlich auf Three Rocks, praktisch direkt vor deiner Nase.«
»Du – auf Three Rocks? Für Ben?«
»Richtig, für den großen Ben McKinnon. Das größte Arschloch auf Gottes Erdboden und derselbe, der seit einiger Zeit deine Schwester vögelt. Was ich übrigens auch flüchtig in Erwägung gezogen habe.« Er musterte die vor Kälte schlotternde Lily verächtlich. »Die wäre im Bett mit Sicherheit tausendmal interessanter als du. Ein Holzklotz hätte mehr Pfeffer im Hintern, aber du bist nun einmal meine Frau, stimmt’s?«
Lily rappelte sich hoch. Es war verlockend, viel zu verlokkend, einfach im Schnee liegenzubleiben und aufzugeben. »Nicht mehr, Jesse.«
»Kein beschissener Papierfetzen kann daran etwas ändern. Hast du wirklich geglaubt, du würdest mir so leicht davonkommen? Dachtest du, du bräuchtest nur zu einem Anwalt
zu rennen und mir die Cops auf den Hals zu hetzen? Wegen dir haben sie mich in eine Zelle gesteckt. Oja, ich habe eine große Rechnung mit dir zu begleichen.«
Wieder betrachtete er sie spöttisch. Ein blasses, geschlagenes Wrack, zu keinerlei Widerstand mehr fähig. Sein Eigentum. Nach einem letzten Zug an der Zigarette schnippte er den Stummel lässig in den Schnee. »Ist dir kalt, Lily? Vielleicht kann ich eine oder zwei Minuten erübrigen, um dich ein bißchen aufzuwärmen. Wir haben Zeit«, fuhr er fort und zog an dem Seil. »Deine Freunde haben keine Chance, uns zu finden. Bei diesem Wetter würden sie noch nicht einmal einen Elefanten aufspüren können.«
Roh griff er ihr zwischen die Beine. Als er in ihren Augen nur abgrundtiefen Ekel las, verstärkte er seinen Griff, bis der erste Anflug von Schmerz darin aufflackerte. »Du hast zwar immer so getan, als würdest du dir aus der rauhen Tour nichts machen, aber du bist auch nur eine Hure, so wie alle anderen Weiber. Hast du mir nicht immer erzählt, wie gut es dir gefällt, oder? Wie war das doch gleich? ›Das ist wunderbar, Jesse. Ich mag das, was du mit mir machst.‹ Waren das nicht deine Worte, Lily?«
Sie wich seinem Blick nicht aus, versuchte, die erniedrigende Situation zu ignorieren. »Ich habe gelogen«, erwiderte sie kühl und zwang sich, nicht vor Schmerz zusammenzuzucken, als er seine Finger in ihr Fleisch grub. Diesen Triumph wollte sie ihm nicht gönnen.
»Wie soll ein Mann denn bei so einer frigiden Zicke wie dir einen hochkriegen?« Noch nie hatte sie es gewagt, ihm zu widersprechen. Nicht nach den ersten kleinen Strafmaßnahmen. Innerlich aus dem Konzept geraten, schob er sie von sich und verlagerte seinen Rucksack ein wenig. »Außerdem haben wir dafür jetzt keine Zeit. Wenn wir erst einmal in Mexiko sind, sieht die Sache schon anders aus.«
Er schlug eine andere Richtung ein und wandte sich mit ihr nach Süden.
Lily war jegliches Gefühl für Zeit und Raum verlorengegangen. Das Schneegestöber hatte nachgelassen, obwohl der
Donner immer noch ab und an seine drohende Stimme erhob. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, nur beherrscht von dem Wunsch, diese Tortur zu überleben. Inzwischen war sie sich sicher, daß er nicht auf die Hütte zusteuerte. Sie fragte sich, wo Adam jetzt wohl sein mochte, wo er nach ihr suchen und was er in diesem Moment empfinden mochte.
Bei jenem letzten flüchtigen Blick auf sein Gesicht hatte sie nackte Mordlust in seinen Augen gelesen. Er würde sie finden, sie wußte ganz genau, daß er sie finden würde. Alles, was sie zu tun hatte, war, so lange am Leben zu bleiben.
»Ich brauche eine Pause, Jesse. Ich kann nicht mehr.«
»Du ruhst dich dann aus, wenn ich es dir sage.« Jesse, der befürchtete, in diesem Sturm die Orientierung verloren zu haben, holte seinen Kompaß hervor. Wer konnte in diesem Chaos schon genau die Richtung bestimmen? Aber das war schließlich nicht sein Fehler.
»Wir gehen nicht mehr weit.« Er verstaute den Kompaß wieder in seiner Tasche und wandte sich gen Osten. »Typisch Weiber – immer nur jammern, nörgeln und einem Mann das Leben vergällen. Hab’ noch nie erlebt, daß du dich einmal nicht über etwas beklagt hättest.«
Lily hätte angefangen zu lachen, wenn sie die Kraft dazu gehabt hätte. Sicher, sie hatte sich ab und an über die auf wundersame Weise verlorengegangenen Lohntüten, die
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