Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Geld mit Männern geschlafen, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sah. Und sie fing auch erst an, regelmäßig auf den Strich zu gehen, nachdem sie von ihm schwanger geworden war und er sie ohne einen Pfennig im Stich gelassen hatte.«
Wie oft hatte sie ihm unter Tränen ihr Leid geklagt, wieder und wieder, sein ganzes Leben lang. »Was sollte sie denn sonst machen? Verrate mir doch mal, was sie sonst hätte tun können? Sie war allein, sie war in anderen Umständen, und der Vater ihres Kindes war ein Dreckskerl, der sie als verlogene Hure beschimpfte und sich dann vor der Verantwortung gedrückt hat.«
»Ich weiß es nicht.« Willas Hände zitterten von der Anstrengung, sich von den Fesseln zu befreien, und vor unterdrückter Furcht. Seine Augen waren jetzt weder klar noch
glasig. Sie sah den Wahnsinn darin. »Es muß sehr schwer für sie gewesen sein.«
»Ihre Situation grenzte damals ans Unerträgliche. Sie hat mir ab und zu erzählt, wie sie gebettelt und ihn angefleht hat, ihr zu helfen, und wie er sie dann nur ausgelacht hat. Er hat mich verleugnet, mich, seinen eigenen Sohn! Sie hätte mich nicht zur Welt bringen müssen, weißt du? Sie hätte eine Abtreibung vornehmen lassen können und wäre alle Probleme mit einem Schlag losgeworden, aber sie hat es nicht getan. Sie erklärte mir, sie hätte sich gegen einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, weil ich Jack Mercys Kind wäre und sie dafür sorgen wollte, daß er seinen Verpflichtungen uns gegenüber nachkam. Er hatte doch genug Geld, schwamm geradezu darin, aber ihr hat er nur ein paar lumpige Dollar vor die Füße geworfen und ist seiner Wege gegangen.«
Langsam entstand ein klares Bild vor Willas Augen; das Bild von einer verbitterten, unglücklichen Frau, die die Seele ihres Kindes nach und nach vergiftete. »Das tut mir leid, Jim. Aber vielleicht hat mein Vater deiner Mutter nicht geglaubt.«
»Er hätte ihr Glauben schenken müssen!« Jim schlug mit der Faust auf den Stein. »Er hat mit ihr geschlafen, hat sie regelmäßig besucht, hat ihr versprochen, sich um sie zu kümmern. Sie erzählte mir, was er ihr alles versprochen hatte, und sie hat ihm geglaubt. Aber als ich dann auf der Welt war und sie mich zu ihm gebracht hat, um ihm zu zeigen, daß ich seine Augen und sein Haar geerbt hatte, da wandte er sich von ihr ab, so daß ihr nichts anderes übrigblieb, als nach Missoula zurückzukehren und ihre Familie um Hilfe zu bitten. Damals war er mit Louella verheiratet, der feschen Louella, und die erwartete gerade Tess; deswegen wollte er nichts von mir wissen. Er dachte nämlich, er würde einen Sohn bekommen, aber da lag er falsch. Ich bin sein einziger Sohn.«
»Du hättest Lily töten können, damals, in der Höhle, als Cooke sie entführt hatte.« Er war zu geschickt darin, einen Menschen zu fesseln, dachte sie grimmig. Sie brachte es nicht fertig, die Knoten zu lösen. »Aber das hast du nicht getan.«
»Ich würde ihr nie etwas zuleide tun. Sicher, ich habe daran gedacht; anfangs, nachdem ich von seinen testamentarischen
Verfügungen erfahren habe. Ich dachte daran, aber sie und Tess gehören nun einmal zu meiner Verwandtschaft.« Er holte tief Atem und rieb seine Hand, die er sich an dem Stein aufgeschürft hatte. »Ich habe meiner Ma versprochen, daß ich nach Mercy zurückkommen und mir holen würde, was mir rechtmäßig zusteht. Seit meiner Geburt kränkelte sie und kam nicht mehr richtig zu Kräften; deswegen brauchte sie auch die Drogen. Sie halfen ihr, den Tag zu überstehen. Aber sie hat für mich getan, was in ihrer Macht stand. Sie hat mir alles über meinen Vater und die Mercy Ranch erzählt, alles was sie wußte. Stundenlang konnte sie dasitzen und davon schwärmen. Immer wieder malte sie mir aus, wie ich, wenn ich erst alt genug wäre, zu ihm gehen und das fordern würde, was mir zusteht.«
»Wo ist deine Mutter jetzt, Jim?«
»Sie ist tot. Die Ärzte behaupten, die Drogen hätten sie umgebracht oder sie hätte sie dazu benutzt, Selbstmord zu begehen. Ich weiß aber, daß das nicht wahr ist. Jack Mercy hat sie getötet, Will, indem er sie fortjagte. Von diesem Moment an war ihr Lebenswille erloschen. Als ich sie fand, war sie schon kalt. Und da schwor ich ihr noch einmal, daß ich nach Mercy gehen und tun würde, was sie von mir verlangt hat.«
»Du hast sie gefunden?« Nun rann ihr der Schweiß in Strömen über das Gesicht, obwohl die Hitze ein wenig nachgelassen hatte, und die salzige Flüssigkeit brannte auf ihrer wunden
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