Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Weile hier sitzen bleiben. Und jetzt sag mir, was du auf dem Herzen hast.«
»Ich hasse Weihnachten.«
»Nein, das tust du nicht.« Ben preßte seine Lippen auf ihren Scheitel. »Du bist nur vollkommen ausgebrannt. Weißt du, was du tun solltest, Will? Du und deine Schwestern, ihr solltet euch ein paar Tage freinehmen und in einen dieser schicken Kurorte fahren. Laßt euch nach Strich und Faden verwöhnen, gönnt euch Massagen, aalt euch im Moorbad und so weiter.«
Willa rümpfte die Nase und fühlte sich sofort ein wenig besser. »Ausgezeichnete Idee. Die Mädels und ich hocken im Schlamm und tauschen den neuesten Klatsch aus. Genau mein Stil.«
»Du könntest natürlich auch mit mir wegfahren. Wir nehmen uns eines dieser Zimmer mit Whirlpool und herzförmigem Bett mit einem großen Spiegel darüber. Was meinst du, wie schnell du alles über die Liebe lernst, wenn du dich dabei beobachten kannst.«
Der Vorschlag entbehrte nicht eines gewissen dekadenten Reizes, trotzdem wehrte sie ihn entschieden ab. »Ich habe in diesem Punkt keine Eile, Ben.«
»Aber ich«, murmelte er, ihren Kopf zu sich heranziehend. »Es ist immerhin schon eine Weile her, seit ich dich zum letzten Mal geküßt habe.« Mit diesen Worten senkte er seinen Mund auf ihre Lippen.
Diesmal setzte sie sich weder zur Wehr, noch täuschte sie Widerwillen vor, nicht jetzt, wo sein Kuß genau das war, was sie brauchte. Seine Wärme, seine zärtlichen Hände, seine Lippen. Statt dessen schlang sie ihre Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn und vergaß alle Sorgen, alle Zweifel und alle bösen Träume.
Hier fand sie Trost, hier war jemand, der ihr zuhörte, jemand, dem sie etwas bedeutete. Sie wollte dieses Gefühl auskosten; das Verlangen nach Zuneigung, das Verlangen nach ihm.
Ben spürte, wie seine mühsam aufrechterhaltene Beherrschung ins Wanken geriet. Ihre unerwartete Hingabe, ihr geschmeidiger Körper, der sich gegen seinen preßte, die Leidenschaft, die tief verborgen in ihr schlummerte, all das steigerte seine Erregung ins Unermeßliche. Das so lange aufgestaute Verlangen nach ihr drohte ihn zu überwältigen.
Also war er es diesmal, der sich zurückzog, und sie diejenige, die protestierte. Bemüht, Begehren und Vernunft in Einklang zu bringen, schob er sie ein wenig zur Seite und barg ihren Kopf wieder an seiner Schulter. »Laß uns noch ein paar Minuten hier sitzen bleiben.«
Willa fühlte, wie sein Herz unter ihrer Hand raste. »Du bringst mich aus dem Gleichgewicht, Ben. Ich weiß nicht, warum gerade du die Macht hast, solche Empfindungen in mir auszulösen, aber ich komme nicht dagegen an. Ich fühle mich jetzt jedenfalls um einiges besser.« Er seufzte einmal tief, dann lehnte er die Stirn gegen ihren Kopf. »Ist das denn so schlimm?«
»Nein, eigentlich nicht.« Eine Zeitlang kuschelte sie sich schweigend an ihn, bis der Aufruhr in ihrem Inneren abgeebbt war. Sie schaute zu den flackernden Lichtern am Baum
hinüber und beobachtete die draußen sachte zur Erde fallenden Schneeflocken. »Tess ist zu Nate hinübergefahren«, sagte sie endlich.
Er kannte sie gut genug, um den Unterton in ihrer Stimme richtig zu deuten. »Machst du dir deswegen Sorgen?«
»Nate kann auf sich aufpassen. Hoffentlich.« Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch dann gab sie auf und schloß langsam die Augen.
»Also hast du Angst um Tess.«
»Möglich. Ein bißchen. Ach, zum Teufel, ja. Jetzt ist zwar seit Wochen nichts mehr vorgefallen, aber …« Sie seufzte. »Ich kann unmöglich Tag und Nacht ein Auge auf sie haben.«
»Das verlangt ja auch niemand von dir.«
»Tess glaubt wirklich, sie weiß alles besser. Miß Großstadtpflanze mit ihren Selbstverteidigungskursen und ihrem modischen Fummel! Dabei ist sie hier draußen so verloren wie eine Maus in einem Zimmer voll hungriger Katzen. Was, wenn sie eine Panne hat oder wenn sie von der Straße abkommt?« Sie holte einmal tief Atem, dann sprach sie aus, was ihr am schwersten auf der Seele lastete. »Was ist, wenn Pickles’ Mörder noch immer in der Nähe ist und uns beobachtet?«
»Wie du schon sagtest: Seit Wochen ist nichts mehr passiert. Wahrscheinlich hält er sich schon längst nicht mehr in dieser Gegend auf.«
»Wenn du im Ernst an diese Theorie glaubst, warum bist du dann fast jeden Tag hier und benutzt alle möglichen fadenscheinigen Ausreden, um deine Anwesenheit zu rechtfertigen?«
»Von wegen fadenscheinige Ausreden«, brummelte er, dann zuckte er die Schultern. »Ich bin
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