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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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und Lev zwang sich, sie zu nehmen.
    »Viel Glück«, sagte GK. »Nutz deine Frettchenaugen. Bleib dran.«
    Lev saß auf dem stoppeligen Gras von Parliament Hill und blickte zu den Drachen, die im leuchtendgrünen Abendhimmel wie summende Matratzen auf und nieder schossen. Hin und wieder wanderte sein Blick hinunter zu den Drachenlenkern, die so angestrengt damit beschäftigt waren, diese wilden Dinger in der Luft zu halten. Meistens waren es Männer, deren kleine Kinder in der Nähe herumtobten, und Lev dachte: Das lieben Männer, den Kindern ihr Spielzeug wegnehmen, um selbst wieder Kind zu werden, um sie noch einmal zu erleben , jene Zeit, in der die Welt sich nur langsam drehte, in der man seine Liebe einem tanzenden Etwas am Himmel schenken konnte ...
    Er rauchte und rechnete im Kopf. Spürte, wie es um ihn herum kühl und dunkel wurde. Es war ja auch erst April. Die Drachenlenker gingen nach Hause. Die hohen Bäume in der Ferne wirkten schwarz in der untergehenden Sonne. Er konnte Vögel im letzten Licht singen hören.
    Von dem Geld, das GK ihm gegeben hatte, schuldete er Christy neunzig Pfund für die Miete beziehungsweise 180, wenn er die nächste Woche mitrechnete. Mit dem Geld für Ina war er schon eine Woche im Verzug, was bedeutete, dass er ihr mindestens vierzig schicken musste.
    Wenn er Christy die volle Summe zahlte und Ina nur dreißig Pfund schickte, blieben ihm noch 170, die für die ganze unsichere Zukunft reichen mussten. 160 Pfund blieben, wenn er Ina vierzig schickte. Dann waren da noch seine Schulden bei Lydia. Er wusste, dass er sich selbst verachten würde, wenn er nicht bald mit dem Abzahlen begann. Aber wie viel konnte er abknapsen? Konnte er es riskieren, Lydia fünfzig Pfund zu schicken und für sich selbst nur noch 110 zu behalten?
    Diese Rechenaufgaben waren einfach, aber Lev wiederholte sie immer wieder, änderte jedes Mal hier und da eine Summe,um günstigere Ergebnisse zu erhalten. Er wusste zum Beispiel, dass Christy mit neunzig einverstanden wäre, wodurch ihm noch 270 Pfund blieben, wenn er Ina vierzig Pfund schickte und einfach »vergaß«, Lydia etwas zurückzuzahlen, bis er eine andere Arbeit gefunden hatte. Wenn er Ina nichts schickte, wurden aus diesen 270 schon 310 Pfund, was sehr viel beruhigender klang. Aber nein ... irgendwo steckte da ein Fehler. Das Allermindeste, was er Christy zahlen musste, waren neunzig Pfund, und 380 minus neunzig macht 290.
    Ihm fehlten zwanzig Pfund ...
    Ein vertrautes Geräusch riss ihn aus seinen schmerzlichen Rechenoperationen: Sein Handy klingelte. Er fischte es aus der Tasche und sah auf das winzige beleuchtete Display, mittlerweile das einzige Helle im Dämmerlicht in diesem Teil des Parks. Halb hoffte er, Sophies Name zu sehen, aber er wusste, dass diese Hoffnung vergeblich war. Der Anrufer war Vitas.
    »Vitas«, sagte Lev. »Wie geht es dir?«
    »Gut.« Vitas’ Stimme klang fern und schrill. »Ich bin in Suffolk. Wir pflücken Salat. Und in ein paar Wochen wechseln wir um auf Spargel. Es ist schön hier, Lev. Hab einen Wohnwagen, mietfrei, teil ihn mir mit Jacek, meinem Freund aus Glic.«
    »Okay, das freut mich. Es freut mich, dass es so gut geklappt hat ...«
    »Wir sind eine kleine Gruppe, die meisten kommen aus unserem Land. Aber es gibt auch zwei chinesische Jungs. Illegale, aber das interessiert hier keinen. Sonny und Jimmy Ming.«
    »Sonny und Jimmy Ming?«
    »So nennen wir sie. Wahrscheinlich haben sie ordentliche chinesische Namen, aber niemand macht sich die Mühe, sie zu benutzen. Ihr Englisch ist sehr komisch. Macht uns viel Spaß. Und unser Boss, Midge, ist kein schlechter Typ. Und, was macht der Bastard?«
    Lev schwieg. Allmählich wurde ihm kalt. Er konnte die Bäume ächzen hören. Er stand auf und begann, über die Wiese Richtung Highgate Hill zu wandern.
    »Lev? Bist du noch dran?«
    »Ja. Der Empfang war kurz unterbrochen. Was hast du gesagt?«
    »Ich habe nach GK gefragt.«
    »Tja, Vitas ... Ich bin da nicht mehr. GK hat mich entlassen.«
    »Dich entlassen? Gefeuert? «
    »Ja.«
    »Wieso das denn? Du hast da doch wie ein verdammter Sklave geschuftet. Du hast die Arbeit von fünf Leuten gemacht.«
    »Ich weiß. GK hatte seine Gründe. Dauert zu lang, dir alles zu erklären. Wahrscheinlich suche ich mir morgen eine neue Arbeit.«
    »Scheiße. Das hast du nicht verdient. Du warst ... du warst ... freundlich zu mir. Was für ein Sadist. Ich hasse ihn. Was machst du denn jetzt?«
    »Keine Ahnung. Bleib wahrscheinlich in der

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