Der Wolf der Wall Street: Die Geschichte einer Wall-Street-Ikone (German Edition)
mit 40 Jahren war Bo eine werdende Legende. Früher - Mitte der 1980er-Jahre - war er einer der höchst dekorierten Polizeibeamten in der Geschichte des NYPD gewesen - er hatte über 700 Verhaftungen durchgeführt, unter anderem in den verrufensten Vierteln New Yorks und auch in Harlem. Er hatte sich dadurch einen Namen gemacht, dass er Fälle knackte, die sonst niemand knacken konnte; in das landesweite Rampenlicht rückte er, als er eines der abscheulichsten Verbrechen aufklärte, die in Harlem je begangen wurden: die Vergewaltigung einer weißen Nonne durch zwei abgebrannte Cracksüchtige. Aber auf den ersten Blick sah Bo gar nicht so knallhart aus. Er hatte ein jungenhaftes, hübsches Gesicht, einen perfekt geschnittenen Bart und langsam lichter werdende hellbraune Haare, die er gerade nach hinten über seinen runden Schädel gekämmt hatte. Er war nicht gerade ein Riese - 1,77 und 90 Kilo -, aber er hatte einen breiten Brustkorb und einen Hals, so dick wie der eines Gorillas. Bo war einer der bestangezogenen Männer der Stadt; am liebsten trug er Seidenanzüge für 2.000 Dollar und kräftig gestärkte weiße Frackhemden mit Doppelmanschetten und Mafiakragen. Er trug eine goldene Uhr, mit der man Hanteltraining hätte machen können, und am kleinen Finger einen Diamantring von der Größe eines Eiswürfels. Es war kein Geheimnis, dass Bos Erfolg in der Verbrechensaufklärung viel mit seiner Herkunft zu tun hatte. Er war in Ozone Park in Queens geboren und aufgewachsen, wo er auf der einen Seite von Banden und auf der anderen Seite von Bullen umgeben war. Daher entwickelte er die Fähigkeit, auf dem schmalen Grat zwischen den beiden zu wandern - er nutzte den Respekt, den er sich bei den örtlichen Mafiahäuptlingen erworben hatte, um Fälle zu lösen, die mit traditionellen Mitteln nicht zu lösen waren.
Mit der Zeit erwarb er sich den Ruf eines Mannes, der seine Kontakte geheim hielt und der die Informationen, die er bekam, ausschließlich zur Bekämpfung von Verbrechen auf der Straße einsetzte, und das schien er mehr verinnerlicht zu haben als alles andere. Seine Freunde liebten und achteten, seine Feinde verabscheuten und fürchteten ihn. Da sich Bo mit bürokratischem Mist nicht gern aufhielt, zog er sich mit 35 aus dem NYPD zurück und verwandelte seinen sagen haften Ruf (und seine noch sagenhafteren Verbindungen) in eines der am schnellsten wachsenden und am meisten geachteten privaten Sicherheitsunternehmen Amerikas. Genau aus diesem Grund hatte ich ihn vor zwei Jahren aufgesucht und seine Dienste in Anspruch genommen - er baute für Stratton Oakmont eine erstklassige Sicherheitsabteilung auf.
Ich hatte mehr als einmal auf Bo zurückgegriffen, um die gelegentlichen mittelgroßen Schurken abzuschrecken, die den Fehler machten, sich gegen Stratton wenden zu wollen. Was genau Bo diesen Leuten sagte, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich nur einmal bei Bo anrief, dass dieser dann „die Person ruhigstellte" und dass ich dann nie wieder etwas von ihr hörte (einmal bekam ich allerdings einen recht hübschen Blumenstrauß). Auf höherer Bandenebene herrschte unabhängig von Bo ein stillschweigendes Abkommen, dass man lieber nicht versuchen sollte, sich über Stratton herzumachen, sondern dass es den Bossen mehr brachte, wenn sie ihre jungen Heißsporne bei uns arbeiten ließen, damit sie auch eine richtige Ausbildung bekamen. So etwa nach einem Jahr gingen diese Mafiapflanzen stillschweigend wieder - eigentlich wie richtige Gentlemen -, damit sie den Betrieb von Stratton nicht störten. Und dann eröffneten sie im Auftrag ihrer Chefs mafiafinanzierte Brokerfirmen.
Im Laufe der letzten zwei Jahre hatte Bo mit allen Sicherheitsaspekten von Stratton zu tun gehabt - er hatte sogar die Firmen ausspioniert, die wir an die Börse brachten, damit wir keinen Unternehmensschwindlern zum Opfer fielen. Im Gegensatz zu den meisten seiner Konkurrenten kam Bo aber nicht mit den tollen Informationen an, die jeder Computerfreak aus LexisNexis herausholen konnte. Nein, Bos Leute machten sich die Finger schmutzig und deckten Dinge auf, von denen man denken würde, sie wären unmöglich herauszufinden. Man konnte zwar nicht gerade behaupten, dass seine Dienste billig gewesen wären, aber man bekam für sein Geld einen Gegenwert. Es war einfach eine Tatsache: Bo Dietl war in seinem Geschäft der Beste.
Ich starrte immer noch aus dem Fenster, als Bo sagte: „An was denkst du, Bo? Du schaust aus diesem beschissenen
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