Der Wolkenpavillon
»Worüber?«
»Ich ermittle in mehreren Verbrechensfällen«, erwiderte Hirata, »und ich brauche Eure Hilfe.«
Falls Ogita erschrocken war, merkte Hirata es ihm jedenfalls nicht an. »Ich stehe Euch zu Diensten«, sagte er und breitete die Arme aus, eine Geste, die besagte, dass er nicht viel zu bieten hatte.
»Dann werdet Ihr mir sicher ein paar Fragen beantworten.« Ohne seinen besonderen Sinn, der ihn gewöhnlich bei Vernehmungen leitete, musste Hirata auf die herkömmlichen Methoden der Ermittlungsarbeit zurückgreifen. Er fragte Ogita, wo er gewesen war an den Tagen, als Chiyo, Fumiko und Tengu-in entführt worden waren.
Hirata hatte damit gerechnet, dass Ogita antworten würde, er könne sich nicht so weit zurückerinnern; stattdessen rief der Reisgroßhändler einem Schreiber zu: »Bring mir meinen Kalender!«
Der Schreiber brachte ein in Leinen gebundenes Buch und reichte es Ogita. Der Reisgroßhändler schlug jene Tage nach, die Hirata ihm genannt hatte, und rasselte eine Liste von Terminen herunter: Versteigerungen in seinem Teehaus; Termine in der Stadt und Geschäftsessen mit Kunden, Freunden und Regierungsbeamten. »Reicht das?«, fragte er dann und lächelte.
»Was die Tage angeht, ja«, antwortete Hirata, »aber was ist mit den Nächten?«
»Da war ich zu Hause, mit meiner Familie und meinen Leibwächtern«, sagte Ogita und fügte hinzu: »Ein Mann in meiner Position hat viele Feinde und ist eine Zielscheibe für Diebe und Gauner. Deshalb sind meine Leibwächter immer in meiner Nähe, egal, wo ich mich aufhalte.«
Hirata zweifelte nicht daran, dass die Leibwächter Ogitas Alibi bestätigen würden.
»Darf ich fragen, weshalb Ihr Euch so für meine Geschäfte interessiert?« In Ogitas Stimme lag Neugier, nicht aber die Vorsicht eines Mannes, der sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte und das Gesetz fürchten musste. Es trieb Hirata beinahe zur Verzweiflung, dass er nicht erkennen konnte, ob Ogitas Gelassenheit gespielt war oder nicht. Er war es gewöhnt, sich auf geistige Kräfte verlassen zu können, die eine jahrelange Ausbildung und magische Rituale in ihm geweckt hatten. Nun aber war er wieder ein ganz normaler Ermittler.
»In dem Zeitraum, der mich interessiert, wurden drei Frauen entführt, gefangen gehalten und vergewaltigt«, sagte Hirata.
»Und Ihr glaubt, ich bin dafür verantwortlich?« Ogitas Miene zeigte, dass er den Gedanken so abwegig fand, dass er sich nicht einmal damit aufhielt, beleidigt zu sein. »Das bin ich ganz bestimmt nicht.«
»Ihr habt gar nicht gefragt, wer die Frauen sind«, bemerkte Hirata. Er war nicht so zerstreut, dass ihm diese Unterlassung entgangen wäre. »Liegt es vielleicht daran, dass Ihr es bereits wisst?«
Ogita starrte lange genug an die Decke, um seinem Zorn Ausdruck zu verleihen. »Nein, ich weiß es nicht. Aber es würde mich interessieren, wer mich verleumdet. Also sagt mir bitte, wer diese Frauen sind.«
Täuschte Ogita bloß Unwissenheit vor? Hirata hätte es zu gern gewusst. »Eine der Entführten ist die Tochter des Verbrecherfürsten Jirocho«, antwortete er. »Das zweite Opfer ist eine Nonne namens Tengu-in. Die dritte Entführte ist Chiyo, die Gemahlin des Hauptmanns Okubo und Cousine von Kammerherr Sano.«
Auf dem fettglänzenden Gesicht des Reisgroßhändlers war kein Anzeichen des Erkennens zu entdecken. Er runzelte nur leicht die Stirn, als Sanos Name fiel. »Nun ja, das tut mir alles schrecklich leid, aber ich habe keine der drei Frauen auch nur angerührt. Ich kenne sie nicht einmal.«
»Chiyo müsstet Ihr eigentlich kennen«, sagte Hirata. »Ihr Vater ist Major Kumazawa. Wie Ihr sicher wisst, ist er für die Bewachung der Lagerhäuser zuständig, in denen der Reis aufbewahrt wird, den Ihr versteigert.«
»Major Kumazawa kenne ich, aber seine Tochter nicht.«
Hirata vermochte nicht zu sagen, ob Ogita log oder ob er die Wahrheit sagte. »Wirklich nicht? Sie ist auf dem Anwesen der Familie aufgewachsen, nicht weit von hier. Bestimmt habt Ihr sie schon einmal gesehen.«
»Gesehen? Vielleicht, aber das wäre dann auch schon alles gewesen.« Ogita machte eine ungeduldige Handbewegung, und Zorn legte sich auf sein Gesicht. »Ich habe es nicht nötig, Frauen zu entführen oder zu vergewaltigen, wenn ich meinen Spaß haben will. Kommt mit, ich will Euch etwas zeigen.«
Ogita ging zum Podium und breitete die Verträge über die Reiskäufe aus, die auf einem Tisch lagen. Mit seinem tuschefleckigen Zeigefinger tippte er auf
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