Der Wolkenpavillon
die riesigen Geldsummen, die auf den Verträgen standen. »Allein von dem Geld, das ich heute verdient habe, könnte ich mir an jedem Tag des Jahres zehn Frauen kaufen. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, ich hätte es nötig, eine Frau entführen zu lassen, um mich mit ihr zu vergnügen? Noch dazu die Tochter eines Mannes, der so wichtig ist für meine Geschäfte!«
Hirata konnte nicht leugnen, dass Hirata nicht ganz unrecht hatte. Andererseits konnte selbst ein Mann wie Ogita einer Frau, die unerreichbar für ihn war, so verfallen, dass es alles tat, um mit ihr zusammen zu sein. »Es gibt jemanden, der Andeutungen gemacht hat, dass Ihr es gewesen seid.«
»Ach? Und wer?« Ogitas Doppelkinn straffte sich vor Zorn.
Hirata erzählte ihm von Jinshichi, Gombei und dem Besitzer des Teehauses »Zur Trommel«.
»Nie gehört«, sagte Ogita. »Aber es überrascht mich nicht, dass sie mir etwas anhängen wollen. Die Leute schießen gern Pfeile auf Äpfel ab, die ganz oben im Baum hängen.«
Hirata blickte auf die Verträge. Er war enttäuscht, hatte er doch gehofft, Sano mit neuen Informationen dienen zu können, zumal er den Fehler wiedergutmachen wollte, dass seine Leute die Fahrer der Ochsenkarren aus den Augen verloren hatten.
»Das hier ist mehr Geld, als Ihr in Eurem ganzen Leben gesehen habt«, fuhr Ogita in überheblichem Tonfall fort, denn er deutete Hiratas bittere Miene fälschlich als Neid. Dann senkte er die Stimme. »Ich mache Euch einen Vorschlag. Wenn Ihr mich aus den Ermittlungen herauslasst, soll es Euer Schaden nicht sein.«
Hirata blickte den Reisgroßhändler ungläubig an. »Ihr wollt mich bestechen?«
»Nennen wir es eine kleine geschäftliche Abmachung«, erwiderte Ogita lächelnd.
Seit der Zeit, als Hirata Streifenpolizist gewesen war, hatte niemand mehr versucht, ihn mit Geld zu ködern. Genau wie Sano stand er in dem Ruf, unbestechlich zu sein. »Denkt nicht einmal daran!«, sagte er mit drohendem Unterton. »Nichts und niemand wird mich von den Ermittlungen abhalten.«
»Wie Ihr wollt.« Ogitas Lächeln gefror, sodass sein Gesicht den kalten, starren Ausdruck einer stählernen Schutzmaske annahm, wie Krieger sie in der Schlacht trugen. »Dann mache ich Euch einen anderen Vorschlag. Drei der wichtigsten Verbündeten von Kammerherr Sano schulden mir beträchtliche Summen. Wenn Ihr mir Ärger macht, werde ich mein Geld bei diesen Leuten einfordern. Das wird sie in den Ruin treiben, und ich werde dafür sorgen, dass sie Euch dafür verantwortlich machen. Das dürfte Kammerherr Sano gar nicht gefallen, was meint Ihr?«
Die Verbündeten würden Sano zweifellos die Gefolgschaft aufkündigen. Außerdem würden sie auf den Shōgun einwirken, Sano aus dem Amt des Kammerherrn zu entfernen - ganz abgesehen davon, dass sie sich einen neuen Herrn suchen würden.
Und wer sonst kam da infrage als Yanagisawa?
Wenn Sano drei seiner einflussreichsten Verbündeten verlor, würde die Waagschale der Macht sich zu Yanagisawas Gunsten neigen, und das wiederum könnte Yanagisawa dazu veranlassen, seinen Vernichtungsfeldzug gegen Sano wiederaufzunehmen. Hirata befand sich in einem schrecklichen Dilemma.
»Und?«, fragte Ogita.
Hirata konnte beinahe Sanos Stimme hören: Lass dich nicht erpressen! Wenn ich meine Verbündeten verliere und Yanagisawa die Oberhand gewinnt, dann soll es so sein. Dieses Wagnis gehe ich ein. Hauptsache, die Frauen erfahren Gerechtigkeit, und der Täter bekommt seine gerechte Strafe ...
Hirata bewunderte Sanos Prinzipientreue. In diesem Fall aber wichen seine eigenen Grundsätze von denen Sanos ab. Als Sanos oberster Gefolgsmann war es Hiratas höchste Pflicht, ihn zu schützen, notfalls auch gegen die eigenen moralischen Überzeugungen. Hirata durfte nicht zulassen, dass Ogita seine Drohung wahrmachte. Und noch etwas kam hinzu: Vielleicht hatte der Reisgroßhändler ja wirklich nichts mit den Entführungen und den Vergewaltigungen zu tun. Dann hätte Hirata seinen Herrn für nichts und wieder nichts in größte Gefahr gebracht.
Doch Hirata sollte nie erfahren, wie er sich entschieden hätte. Noch während er fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, sich aus seiner Zwangslage zu befreien, schlug sein unsichtbarer Feind wieder zu. Hiratas Körper versteifte sich in plötzlicher Alarmbereitschaft, als er die pulsierende Energie wahrnahm. Seine Nerven vibrierten, und das Blut rauschte in seinen Ohren. Von einem Moment zum anderen war Ogita vergessen. Der unsichtbare Feind war ganz nah.
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