Der Wolkenpavillon
weitete sich, bis er in alle Richtungen schauen konnte, auf die Insel hinter ihm und auch auf den Fluss vor ihm, auf dessen Grund er Flusskrebse erkennen konnte.
Plötzlich brach die Sonne durch die Wolken, und die triste graue Landschaft erstrahlte in allen Regenbogenfarben. Mit seinem geschärften Geruchssinn nahm Hirata sogar Gerüche wahr, die von der Stadt herüberwehten: den Gestank der Abwässer und des Unrats, den Duft des Weihrauchs in den Tempeln und so viele verschiedene Kochdünste, als würde ein Festmahl für die Götter bereitet. Er hörte eine Million Herzen schlagen und konnte ihr Pochen durch die Haut in den Fingerspitzen spüren. Er schloss die Augen und ließ seine körperlose Stimme über die Welt erschallen.
Hier bin ich, rief er. Komm und hole mich!
Doch eine Antwort seines unsichtbaren Feindes blieb aus, obwohl Hirata wartete und lauschte, eine Ewigkeit, wie es ihm schien.
Stattdessen nahm er zwei vertraute Kraftfelder wahr, die ganz in der Nähe pulsierten. Er schlug die Augen auf und löste sich aus seinem Trancezustand. Als er zur Werft hinüberschaute, erkannte er, dass die Suche nach seinem Feind zwar erfolglos geblieben war, doch eine andere Suche hatte zum Ziel geführt: Unter den Männern, die an einem der Schiffsrümpfe arbeiteten, entdeckte er Jinshichi und Gombei, die beiden Ochsenkarrenfahrer.
37.
Sano, seine Ermittler und die Begleitsoldaten folgten einem Rudel riesiger Wachhunde, die Sano sich von einem Freund ausgeliehen hatte. Die Tiere wurden von drei Hundeausbildern an Eisenketten gehalten, die an einem ledernen Geschirr befestigt waren. Am Tor vor den Zwingern standen noch immer die Soldaten, die Sano dort als Posten zurückgelassen hatte. Die Wachhunde schnappten nach ihnen, während die Ausbilder an den Ketten zerrten und »Platz!« riefen.
»Ist Nanbu noch in den Zwingern?«, fragte Sano einen seiner Soldaten.
»Ja, Herr. Er hat sich noch kein einziges Mal blicken lassen.«
»Damit hat er ein Alibi für die Entführung der Frau des Shōgun«, bemerkte Fukida.
»Was aber nicht bedeuten muss, dass er nichts darüber weiß«, entgegnete Sano.
Marume hämmerte mit der Faust gegen das Tor und rief: »Aufmachen!«
Zuerst war das Bellen der Hunde in den Zwingern zu vernehmen, dann rief eine Männerstimme: »Verschwindet!«
Sanos Begleitsoldaten sprangen von ihren Pferden, brachten einen mitgebrachten Rammbock in Stellung und stürmten los. Sie rammten so lange gegen das Tor, bis es nachgab. Dahinter lauerten Nanbus Hunde, die von zweien seiner Leute an der Leine zurückgehalten wurden. Die Hunde, die Sano mitgebracht hatte, gebärdeten sich wie toll und wollten auf die Artgenossen losgehen. Ein Chaos aus Gebell und Geheul, Fluchen und Schreien brach los, als Sanos Hundeführer durch das Tor vordrangen und Nanbus Männer mit deren Tieren zum Rückzug zwangen. Sano, seine Ermittler und die Begleitsoldaten gingen hinein.
»Das nennt man Feuer mit Feuer bekämpfen«, sagte Marume.
Und Fukida meinte: »Und wenn Hunde von Artgenossen getötet werden, verstößt es nicht gegen das Gesetz des Shōgun.«
Als die beiden Hundemeuten einander gegenüberstanden, rief Sano über das Kläffen und Knurren hinweg: »Wo ist Nanbu?«
Nanbus Männer antworteten nicht, doch einer von ihnen blickte verräterisch zu einer Holzhütte hinüber, die ein Stück abseits der Zwinger stand. Sano, seine Männer und das Hunderudel rückten sofort zu der Hütte vor, gefolgt von Nanbus Leuten mit ihren Hunden. Die Bretterbude stand auf niedrigen Stützpfeilern, sodass sie sich ein Stück über den schlammigen Boden erhob. Die Ausbilder hielten die kläffenden Hunde zurück, während Marume die Tür öffnete. Sano und die Ermittler zogen das Schwert und blickten ins Innere der Hütte.
Eine massige dunkle Gestalt bewegte sich auf dem Fußboden vor und zurück, begleitet von dumpfem Stöhnen, leisem Wimmern und vereinzelten spitzen Schreien. Erst nach ein paar Augenblicken erkannte Sano, dass es sich um Nanbu handelte, der, auf Ellbogen und Knie gestützt, auf einer Matratze kauerte. Unter ihm wand sich ein junges Mädchen. Sie kreischte und schlug mit den Fäusten nach ihm, während er mit wilden Stößen in sie eindrang, wobei er wild schnaufte und grunzte.
»Aufhören!«, rief Sano.
Marume und Fukida stürzten in die Hütte, packten Nanbu und zerrten ihn von dem Mädchen herunter.
»He, was soll das?«, protestierte er. Sein Gesicht war schweißnass und gerötet vor Lust, und unter seiner
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