Der Wolkenpavillon
der Verbrecherfürst. »Aber sieh zu, dass es kein nächstes Mal gibt.«
Hirata huschte lautlos davon und kehrte in das Empfangsgemach zurück. Kurz darauf erschien Jirocho. »Hirata -san ! Was für eine Überraschung!«
Jirocho, inzwischen Mitte fünfzig, hatte sich in den zwölf Jahren, seit Hirata ihn das letzte Mal gesehen hatte, ziemlich verändert. Sein untersetzter Körper in den farbenprächtigen Seidengewändern, die er aus Trotz gegen die Luxusgesetze der Tokugawa trug, war rundlich geworden, weil er es nicht mehr nötig hatte, in den Straßen von Edo ums nackte Überleben zu kämpfen wie in jungen Jahren. Nun regierte er sein Imperium von seiner luxuriösen Unterkunft aus. Sein ergrauendes Haar lichtete sich, und sein einst so hartes Gesicht war feist und schlaff geworden. Doch in seinen funkelnden Augen spiegelten sich noch immer die wache Intelligenz und die beherrschte Wildheit, die Hirata von früher kannte - genauso wie das raubtierhafte Lächeln, das nun auf Jirochos wulstigen Lippen lag.
Die größte Veränderung jedoch hatte nichts mit Jirochos Äußerem zu tun. Zum ersten Mal sah Hirata dank seiner gesteigerten Wahrnehmungsfähigkeit das geistige Kraftfeld des Verbrecherfürsten. Seine geistige Aura, die Rücksichtslosigkeit und Entschlossenheit ausstrahlte, hatte eine animalische Anziehungskraft. Hirata hatte sich oft gefragt, wie Jirocho vom gemeinen Dieb zu einem der mächtigsten Unterweltfürsten hatte aufsteigen können. Jetzt wusste er es: Der Bandenführer zog schwächere Männer an wie ein Magnet Eisenspäne.
»Seid Ihr gekommen, um mich wieder einmal zu verhaften?« Jirochos Lächeln wurde breiter. Er wusste, dass ihm nichts geschehen konnte, denn ihn schützte genau die Regierung, für die Hirata arbeitete.
»Heute nicht«, antwortete Hirata. »Ich bin hier wegen eines Verbrechens, eines, das nicht Ihr begangen habt.«
»Was für ein Verbrechen?«
»Die Entführung Eurer Tochter.«
Jirochos Lächeln erlosch. Jäh wandte er sich von Hirata ab. »Ich will nicht darüber reden.«
»Ich fürchte, das müsst Ihr«, sagte Hirata. »Kammerherr Sano und ich ermitteln in einem anderen Entführungsfall, der mit dem Eurer Tochter zu tun haben könnte. Wir brauchen Informationen.«
»Dann beschafft sie Euch woanders«, sagte Jirocho mit kalter Stimme, ohne sich zu Hirata umzudrehen.
»Und wenn ich mit Eurer Tochter rede?«
»Meine Tochter ist tot.«
»Was?« Hirata war überrascht. »Aber die Polizei sagt, man hätte sie lebend gefunden!«
»Für mich ist Fumiko gestorben.« Endlich drehte Jirocho sich um. Hirata sah erstaunt, dass in den Augen des Verbrechers Tränen der Wut und des Hasses standen. »Irgendein schmutziges Ungeheuer hat meine kleine Fumiko vernichtet! Sie wurde entehrt! Um die Ehre meines Klans zu wahren, musste ich sie verstoßen!«
»Wo ist sie jetzt?«
»Keine Ahnung. Ich habe sie hinausgeworfen.«
»Ihr habt ein zwölfjähriges Mädchen aus dem Haus gejagt und sich selbst überlassen?« Hirata wäre dem Mann am liebsten an die Kehle gegangen.
Jirocho starrte ihn feindselig an. »Ich habe Fumiko von Herzen geliebt, aber die Dinge haben sich geändert. Was wäre, wenn Eurer Tochter so etwas passieren würde? Was würdet Ihr dann tun?«
Hirata dachte an seine kleine Tochter, Taeko, die er immer lieben und beschützen würde, was auch geschah. Aber Hirata war nicht an Konventionen gebunden wie Jirocho, obwohl der ein Verbrecher war. Und wenn er Jirochos Mitarbeit wollte, war es besser, ihn nicht zu kritisieren.
»Also gut«, sagte er. »Ich verstehe. Trotzdem brauche ich Eure Hilfe. Könnte ich mit Fumikos Mutter reden?«
»Sie ist tot«, sagte Jirocho. »Sie starb, als Fumiko noch ein Säugling war. Ich habe das Mädchen allein großgezogen.«
Hirata unternahm einen letzten Versuch. »Die Cousine von Kammerherr Sano wurde entführt und vergewaltigt. Wahrscheinlich war es derselbe Täter wie bei Fumiko. Wir wollen, dass er zur Rechenschaft gezogen wird. Wollt Ihr denn keine Rache für Eure Tochter?«
»Oh doch, täuscht Euch da nur nicht!«, stieß Jirocho mit einer solchen Wildheit hervor, dass sein Gesicht rot anlief. Hirata glaubte ihm aufs Wort. Dieser Mann zwang seine Handlanger, sich zur Strafe selbst zu verstümmeln, wenn sie ihn hereingelegt hatten. Er würde den Vergewaltiger seiner Tochter niemals davonkommen lassen, auch wenn er das Mädchen verstoßen hatte. »Aber das erledige ich auf meine Weise.«
Es war schlimm genug gewesen, dass Major
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