Der Zauberspiegel
ehrlich. Juliane konnte Kaliras Wut nicht begreifen.
»Ich hatte gehofft, dich nie wieder sehen zu müssen«, entgegnete Kalira eisig. »Sag, gab es kein Schwert, in das du laufen konntest?«
Fassungslos lauschte sie dem Wortwechsel.
»Wie kannst du nur so etwas sagen? Wo ich doch schon seit Nächten von dir träume«, rief Ranon lachend.
»So ein Zufall! Ich ebenfalls, aber das waren die schlimmsten Albträume! Woran kann das nur liegen? An dir persönlich oder weil du etwas Verabscheuungswürdiges bist?«, fragte Kalira giftig.
Keiner der anwesenden Rebellen beachtete die beiden. Offenbar waren sie die Streitereien der beiden gewohnt.
Kalira funkelte Ranon weiterhin an.
»Vielleicht«, überlegte er laut. »Vielleicht sollte ich dich mal ordentlich versohlen? Meinst du, dass dir das die Unfreundlichkeit und deine Garstigkeit austreiben könnte? Möglicherweise musst du auch nur von einem richtigen Mann genommen werden?«
Kalira errötete und an ihrer Schläfe begann eine Ader zu pochen. »Möglich, ich sehe hier nur keinen«, zischte sie und drängte sich an ihm vorbei. »Geh mir aus dem Weg, du … du ungehobelter Klotz!«
Ranon trat breit grinsend einen Schritt zur Seite, und Kalira stürmte mit zornesrotem Gesicht aus der Höhle. Er zuckte hilflos mit den Schultern, wirkte aber gleichzeitig amüsiert.
»Ihr kennt euch offenbar«, meinte Juliane.
»Besser, als Kalira lieb ist«, erwiderte Ranon und fügte nachdenklich hinzu: »Viel besser als ihr lieb ist.«
Juliane runzelte die Stirn. »Ich werde mal nach ihr sehen.« Sie fand Kalira vor der Höhle, wo sie mit einem dicken Knüppel auf den Felsen vor sich eindrosch. Juliane beobachtete ihre Freundin eine Weile, unterbrach sie aber erst, als der Stecken durch die Wucht der Schläge barst. »Was hatte dieses Schauspiel in der Halle zu bedeuten?«
Kalira blickte auf und schleuderte den Prügel von sich. »Es gibt keinen Grund. Wir streiten einfach gern.«
»Mir schien es, als wollte Ranon dich nur ein wenig aufziehen. Er nahm das nicht ernst«, widersprach Juliane.
»Das mag sein, aber ich habe keine Lust«, sagte sie zornig und sah Juliane aus blitzenden Augen an. »Ich erzähle dir, warum wir uns nicht vertragen. Ranon und ich sind gemeinsam aufgewachsen. Wir sind die besten Freunde gewesen, bis wir alt genug waren, wie die anderen als Spione durch Goryydon zu ziehen. Er durfte gehen. Nur ich, ich musste hierbleiben, weil ich die Thronfolgerin bin!« Kalira schlug auf den Anhänger in Form einer Sonne, den sie ständig an einer goldenen Kette um ihren Hals trug. »Er hat einige sehr gemeine Dinge zu mir gesagt, das werde ich ihm nie verzeihen. Niemals!« Kalira setzte sich auf einen Felsbrocken und blies sich eine Locke aus der Stirn.
Vehement drangen Kaliras impulsive Gedanken plötzlich in Julianes Bewusstsein.
Kalira erinnerte sich überdeutlich an jene laue Nacht vor vier Sommern. In diesem Jahr hatte sie ihre Liebe zu Ranon entdeckt. Einen süßen Sommer lang waren sie unzertrennlich. Sie hatte Ranon so sehr geliebt, dass sie ihn als seine Gefährtin begleiten wollte. Doch statt sich zu freuen, hatte er sie als Verräterin beschimpft. Nie würde er ein selbstsüchtiges, gedankenloses Kind wie sie lieben, hatte er ihr an den Kopf geworfen.
Erst viel später war ihr die Tragweite ihrer kindischen Träumereien bewusst geworden. Und die Wut über Ranons Zurückweisung hatte ihre Pflichten und die Vorbereitung auf die Erfüllung der Prophezeiung zum Wichtigsten in ihrem Leben werden lassen. Sie hatte die zärtlichen Gefühle überwunden, nicht jedoch seine harschen Worte, die in der Gegenwart noch genauso schmerzten wie damals.
Juliane fühlte Kaliras Schmerz und sie streckte die Hand nach ihr aus, doch sie wich zurück.
»Ich habe ihn geliebt und er hat nur mit mir gespielt. Ich hasse ihn.« Kalira sprang auf und lief in die Höhle zurück.
Juliane seufzte. Kalira zog sich vermutlich zurück, um allein zu sein, somit steuerte sie den Gemeinschaftsraum an. Dort ließ sie sich neben Ranon nieder, der den Männern von seinen Erlebnissen während des Winters erzählte.
»Ich hatte eine Unterkunft in einer Taverne neben der Todesreiter–Kaserne in Jorum gefunden.«
»Jorum?«, fragte Juliane.
»Eine Stadt«, erklärte Trian.
»Der Wirt verlor einige Tage zuvor seinen Knecht durch einen Unfall und nahm mich mit Handkuss in seine Dienste auf.« Ranon trank einen Schluck Gewürzwein und zwinkerte ihr zu. »Er hat nicht geahnt, wie begeistert
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