Der Zauberspiegel
dunkel und drohend um sie herum erhoben. Mit einem leichten Schenkeldruck trieb sie ihr Pferd an und folgte ihren Freunden rasch durch die Schlucht. Je länger sie auf diesem unwegsamen Pfad unterwegs waren, umso unwohler fühlte sie sich. Beunruhigt musterte sie die Bergwand, die Unheil verkündend knirschte und mit dem Wind ein unheimliches Duett sang, der wie ein bösartiges Tier durch die Schlucht strich. Hoch über ihnen kreiste ein Adler und stieß schrille Rufe aus.
Ein ohrenbetäubendes Getöse über ihren Köpfen ließ ihre Blicke nach oben schnellen.
»Eine Lawine!« Der Lärm der herunterprasselnden Felsen verschluckte ihren Schrei.
Die anderen hatten die Gefahr bereits erkannt, doch die Pferde bäumten sich auf, Torus’ Tier ging durch und galoppierte den Pfad entlang. Sie trieben ihre Pferde an und folgten Torus.
Nur am Rande nahm Juliane einen kurzen, harten Schmerz auf der Stirn wahr. Etwas Feuchtes, Klebriges lief ihre Wange hinunter.
Nach einer Ewigkeit, wie es ihr erschien, erreichten sie das Ende der Schlucht und entkamen damit knapp der Gefahr.
Sie standen auf einem Plateau und verharrten sekundenlang reglos, die Anspannung jedes Einzelnen war beinahe greifbar. Nur langsam verebbte das Getöse; einzelne Felsbrocken kullerten in die Tiefe. Der Weg hinter ihnen war von Geröll übersät. Staub hing dick in der Luft. Julianes Herzschlag beruhigte sich langsam. Puh, das war knapp.
Ranon, dem der Schrecken anzusehen war, stieg von seinem Pferd. Kurz tätschelte er das schweißbedeckte, zitternde Tier und wandte sich an seine Freunde. »Seid ihr alle in Ordnung?« Prüfend musterte er sie. Sein Blick blieb an ihrer Stirn hängen.
Juliane berührte die Stelle, an der es dumpf pochte. Der Felssplitter. Er hatte sie erwischt. Verdammt. Einen Schmerzenzlaut unterdrückend, wischte sie sich die blutbefleckten Finger an der Hose ab.
*
»Du bist verletzt!« Kalira sprang vom Pferd. Im selben Moment zuckte ein stechender Schmerz durch ihren Fuß. Aufstöhnend ließ sie sich auf dem Boden nieder und umklammerte den verletzten Knöchel. Himmel, das tat weh. Vorsichtig, um nicht noch mehr Schaden anzurichten und mit zusammengebissenen Zähnen zog sie den linken Stiefel aus.
»Du bist offensichtlich ebenfalls verletzt«, meinte Ranon, der neben ihr in die Hocke gegangen war. Torus versorgte bereits Julianes Platzwunde.
Kalira unterdrückte einen frustrierten Ausruf. Konnte Ranon sich nicht von ihr fernhalten? Wenn sie im Moment eins nicht gebrauchen konnte, war es ein gebrochener Fuß. So was Blödes.
Geschickt betastete Ranon ihr Gelenk, und Kalira konnte sich nur mühsam beherrschen, ihm ihren Fuß nicht wieder zu entziehen. Selbst unter Schmerzen war sie sich seiner Nähe durch und durch bewusst.
»Der Knöchel ist verstaucht«, sagte Ranon nach einer Weile und ließ wieder von ihr ab. Erleichterung durchflutete Kalira.
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Ranon, der ein sauberes Linnen und einige Kräuter aus seiner Satteltasche holte und sich daran machte, ihren Knöchel zu verbinden.
Wie geschickt er ihren Fuß versorgte … Sie unterdrückte das angenehme Gefühl, das seine Fürsorge in ihr hervorrufen wollte.
»Das wird ein paar Tage wehtun«, sagte Ranon.
Ein paar Tage? Das durfte doch nicht wahr sein! »Das habe ich mir schon gedacht«, entgegnete Kalira wie selbstverständlich. Zugleich schloss sie die Augen, um Ranon nicht länger dabei zusehen zu müssen, wie liebevoll er sich um ihre Verletzung kümmerte. Der Kerl konnte einen mit seiner Sprunghaftigkeit in den Wahnsinn treiben.
Als wollte er ihre Gedanken auch noch verspotten, zog er ihr ganz vorsichtig den Stiefel an.
»Danke«, sagte sie leise und hoffte, sich in den nächsten Stunden wieder von Ranons Fürsorglichkeit zu erholen. Im Augenblick hatte sie das Gefühl, ein albernes Bauernmädchen zu sein, das sich in der Aufmerksamkeit ihres Angebeteten suhlte. Die Erinnerung an ihre närrische Verträumtheit würde sie vermutlich mehr plagen als ihr verdammter Fuß.
*
Torus schenkte Juliane ein aufmunterndes Lächeln, nachdem er ihre Stirnwunde versorgt hatte.
»Alles halb so wild«, erklärte er. »Derartige Verletzungen bluten immer entsetzlich, sind aber selten lebensgefährlich.«
Er zwinkerte, als hätte er einen unheimlich tollen Scherz gemacht. Juliane schmunzelte. Sie konnte jede Aufmunterung gebrauchen. Da fiel ihr auf, dass der Schmerz bereits nachgelassen hatte. »Was hast du gemacht?«
»Ich
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