Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
Vom Netzwerk:
sich in seiner Liebkosung. Dann überrollte sie Ernüchterung. Sie widerstand der Versuchung, ihn zu umarmen und zurückzuküssen. Stattdessen stieß sie ihn von sich und versuchte, ihre Verwirrung hinter einem Wutausbruch zu verbergen. »Was fällt dir ein?« Ihre Stimme klang nicht ganz so sicher und zornig, wie sie es gern gehabt hätte. Das Gefühl seiner Lippen auf den ihren brannte in ihr. Sie fühlte, wie ihr flammende Röte ins Gesicht stieg und ihr Mund bebte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
    Ranon starrte sie an und Unglauben erfasste Kalira. Er musterte sie, als sei sie das Schönste, das er je gesehen hatte.
    »Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als mein Leben, mehr als meine Aufgabe, mehr als meine Familie. Ich brauche dich wie die Luft zum Atmen«, gestand Ranon leise und mit einer Ernsthaftigkeit, die Kalira zum Erschaudern brachte.
    Sie zitterte, was nicht daran lag, dass es empfindlich kühl geworden war. »Wie soll ich dir glauben? Jetzt, nach all den Jahren? Du hättest dich viel früher mit mir aussprechen sollen.« Abrupt kehrte sie ihm den Rücken zu und verharrte in dieser Stellung. Insgeheim hoffte sie, dass Ranon sie erneut an sich ziehen würde und wusste, wenn er das täte, vergäße sie ihren Hochmut und ihre Vorsätze und erzählte ihm von ihren Gefühlen. Ihren wahren Gefühlen. Sie liebte ihn immer noch. Ohne ihn gab es in ihrem Herzen ein Loch, und es existierte eine Sehnsucht, die ungestillt war.
    Doch nichts geschah. Ranon näherte sich ihr kein weiteres Mal. Einen Anflug von Enttäuschung hinunterschluckend, ging Kalira zu ihrem Pferd, das friedlich grasend bei den anderen Tieren stand.
    Aufgewühlt wie lange nicht mehr, tätschelte sie den Hals ihres Rappen. Dabei warf sie Ranon einen verstohlenen Blick zu. Er hockte vor dem Lagerfeuer, sein Gesicht hinter den Händen verborgen, und Kalira erkannte, dass sie eben einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Einen Fehler, den sie vielleicht für den Rest ihres Lebens bereuen würde.
     
    *
     
    Juliane stand auf einer Felsenklippe. Unter ihr schlug das Wasser kleine schaumgekrönte Wellen. Die Farbe der See leuchtete im tiefsten Blau, das sie je gesehen hatte und doch wusste sie, dass sie bereits viele Male an dieser Stelle gestanden hatte und von dort in die Fluten gestarrt hatte. Sie spürte seine Anwesenheit, noch bevor er sie umarmte, und schmiegte sich an ihn. Sie trug ein langes Kleid aus einem rauen Wollstoff und ihr Haar war nicht länger dunkelblond, sondern weiß wie frisch gefallener Schnee. Die Arme, die sich um sie legten, waren dunkel, viel dunkler als ihre Haut. In diesem Moment fühlte sie die Übereinstimmung, die Vollkommenheit ihrer Seele, die sie in seiner Gegenwart erfüllte.
    Und dann hörte sie die Stimme. Seine Stimme, tief und unendlich sanft.
    »Ich werde dich finden, ich werde dich finden, und wenn ich tausend Höllen durchqueren muss«, versprach er.
    »Ich werde dich suchen, und wenn es tausend Jahre dauert.« ergänzte sie.
    Der Traum entglitt Juliane und stattdessen spürte sie … etwas Böses . Es war so böse und verdorben, wie es sich kein Lebender ausmalen konnte. Es bahnte sich seinen Weg über die Berge, bis es fand, was es suchte: eine Seele, hell, leuchtend und jung.
    Juliane fühlte die Anwesenheit wie eine eisige Faust, die sich über sie senkte und zu vernichten drohte. Sie wusste nicht, was es war, aber sie war sicher, dass es kein Lebewesen war, weder Tier noch Mensch. Ein körperloser Schatten. Sie wusste, dass sie dem Wesen bereits begegnet war. Noch ehe sie sich erinnern konnte, senkte es sich auf Juliane nieder und zog sich immer enger um sie. Sie versuchte zu schreien, doch es legte sich auf ihren Mund und erstickte ihren Schrei. Sie öffnete die Augen, doch um sie herum gab es nichts außer Schwärze. In der Ferne hörte sie höhnisches Gelächter. Und dann tauchte etwas anderes auf, etwas Silbriges, Summendes … Ihr Bewusstsein drohte in tiefste Regionen ihres Ichs abzudriften.
     
    *
     
    Torus packte die schreiende Juliane an den Schultern und schüttelte sie. »Wach auf, Juliane!«
    Kalira stand hinter Torus und beobachtete besorgt und hilflos, wie Torus sich bemühte, Juliane aufzuwecken. Ranon trat neben sie und ohne es zu wollen, griff sie nach seiner Hand. Julianes gellender Schrei hatte sie geweckt, und sie fanden sie schluchzend und sich in Krämpfen windend vor.
    Nun beobachteten sie, wie Torus einen letzten, verzweifelten Versuch unternahm, Juliane zu wecken,

Weitere Kostenlose Bücher