Der Zauberspiegel
ihnen und schließlich ritten sie in das endlose Grün des Waldes.
»Mir gefällt es nicht, dass ihr gutgläubig Asleenas Karte vertraut.« Aran hatte schlechte Laune. Seit sie das Dorf verlassen hatten, spielte er den stummen Fisch, trieb die anderen jedoch gelegentlich zur Eile an.
Sie hasste seine Verstocktheit. Am liebsten hätte sie ihn zusammengestaucht. Einzig der Gedanke, dass es ohnehin zwecklos sein würde, hielt sie davon ab. »Du sagtest, wir könnten ihr vertrauen.«
Aran zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Kalira warf ihr einen aufmunternden Blick zu. Sie hatte natürlich bemerkt, dass sich zwischen Juliane und Aran etwas anbahnte, das weit über eine Kameradschaft hinausging. Sie hatte mit Juliane darüber geredet und ihr erklärt, sie könne nicht verstehen, weshalb Aran sich so eigenartig verhielt. Einmal blickte er Juliane an, als wäre sie seine Göttin, und dann betrachtete er sie wieder, als wüsste er nicht, wer sie sei.
Ranon schwankte im Sattel. Kalira ritt neben ihn. »Dir geht es nicht gut.«
»Nein, nein«, wehrte Ranon ab.
»Wir machen eine Rast«, befahl Kalira.
Dankbar stieg Juliane vom Pferd. Sie streckte sich und versuchte, ihre verspannten Muskeln mit ein wenig Bewegung zu lockern.
Ranon setzte sich auf den weichen Waldboden und presste die Hand auf seine Verletzung. Kalira reichte ihm die Medizinflasche und er nahm bereitwillig einen Schluck davon.
»Geht es dir besser?«
Ranon warf Kalira einen liebevollen Blick zu. »Gib mir einen Kuss und ich bezwinge für dich ein Heer der Todesreiter.«
Lächelnd beugte sie sich über Ranon und küsste ihn sanft. Juliane betrachtete daraufhin diskret die Landkarte von Asleena und musterte sie zum hundertsten Mal gedankenverloren. »Wo sind wir jetzt?«, fragte sie und hielt die Karte hoch.
Nach einer kurzen Musterung erklärte Ranon: »Keine Ahnung. Wir kennen uns mit dieser Art Zeichnungen nicht aus. Frag Aran.«
*
Aran hatte den ganzen Morgen bereits das sanfte, aber hartnäckige Drängen T’Chiallas gespürt. Seit Längerem mied er erfolgreich den Kontakt zu seiner geistigen Führerin. Er wusste, dass sie diesmal nicht aufgeben würde, ehe er mit ihr gesprochen hatte. Er konnte dem Locken T’Chiallas nicht länger widerstehen, sodass er sich setzte und seinen Geist leerte. Augenblicklich spürte er, wie er in tiefe Trance fiel.
Er schwebte in einer dunklen Umgebung. Verführerisch umschmeichelte ihn die Schwärze. Einen Moment genoss er die Wärme und Geborgenheit des geheimnisvollen Ortes. »T’Chialla! Wo bist du?«, rief er in das Nichts hinein, wissend, dass sie nicht weit fort sein konnte.
»Hier bin ich, Aran«, erklang hinter ihm ihre süße, unendlich sanfte Stimme.
Er drehte sich zu der blond gelockten Frau um. Ein mattes Leuchten ging von ihr aus, als sie sich ihm lächelnd näherte.
»Du bist mit deiner Seelenverwandten zusammen, warum bist du unglücklich?«
»Wie kann ich glücklich sein, wenn die Mörder meiner Eltern ungestraft herumlaufen?«
»Rache, Hass und Zorn! Ist das alles, woran du denken kannst?«, fragte T’Chialla bitter. Sie hatte Aran unzählige Male zu überreden versucht, von seinem Weg der Rache umzukehren, doch nie hatte er auf sie hören wollen. Nun war es ihm fast unangenehm, zu gestehen, dass ein sterbliches Mädchen schaffte, was ihr nie gelungen war.
»Ich habe ein Mädchen kennengelernt.«
T’Chialla lächelte. »Juliane?«
Überrascht fixierte Aran sie. »Du kennst sie?«
»Wir sind uns begegnet.« T’Chialla neigte den Kopf. »Welche Fragen quälen dich?«
»Was ist an ihr so anders? Nie habe ich jemanden kennengelernt, der so ist wie sie.«
Aran spürte bei dem Gedanken an Juliane ein warmes, fast schon vergessenes Gefühl in sich aufsteigen. T’Chialla lächelte und hob mit ihrem Zeigefinger Arans Kinn. Zufrieden blickte sie in seine Augen.
»Du hast die Liebe gesehen«, bestätigte sie mehr sich selbst als Aran. »Sie ist dein fehlendes Gegenstück. Wie du dein Leben von Hass, Zorn und Rache bestimmen lässt, leiten Juliane Liebe, Freundschaft und Vergebung.«
Aran schluckte. »Es macht mir Angst. Wie kann ich meinen Gefühlen nachgeben und dennoch meinen Schwur erfüllen?«
Er sah, wie T’Chialla etwas sagte, doch er verstand es nicht, denn Julianes Stimme durchbrach seine Trance.
»Aran, kannst du mir sagen, wo wir sind?«
Er schüttelte sich.
»Aran, was hast du?«
Er blinzelte und erwachte aus seiner Erstarrung. »Was ist denn los?«,
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