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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
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fragte er gereizt. Er fühlte sich erschöpft. Wie jedes Mal nach einer Unterhaltung mit seiner Führerin.
    »Willkommen im Leben, Mister Griesgram«, entgegnete Juliane. Missmutig schürzte sie die Lippen, bevor sie ihre Frage nach dem Weg wiederholte.
    Aran musterte die Karte aufmerksam, bevor er auf eine Stelle in der Mitte tippte. Dann warf er dem dösenden Ranon einen besorgten Blick zu und wandte sich an Kalira. Sie beobachtete Ranon ebenfalls und strich mit ihrer Hand zärtlich über seinen Unterarm. Ranons Haut wirkte fahl und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Er benötigte Ruhe. »Was hältst du davon, wenn wir bis zum Morgengrauen hier bleiben?«
    Juliane lächelte. »Gelegentlich bist du launisch wie eine Diva, aber du denkst an das Wohlergehen deiner Freunde. Okay, machen wir.«
     
    *
     
    Dunkelheit senkte sich über das Land. Und mit der Nacht erwachten die Albträume.
    Sie lauerten bei Tageslicht im Schatten und kamen erst hervor, wenn das Licht erlosch, um ihre Opfer mit ihrem Wahn und Schrecken bringenden Atem in einem Netz des Irrsinns zu fangen, dessen klebrige Fäden das Gehirn ihres Träumers in eisiger Furcht lähmten und noch bis in den Tag hinein verfolgten.
    Wieder fand Juliane sich als Zadieyek, die legendäre Amazonenkönigin wieder, deren Versprechen, Goryydon in höchster Not beizustehen, sie einlösen sollte. Sie war in einen silbernen Brustharnisch gekleidet und ihr langes weißes Haar wurde von Bändern zurück gehalten, nur die grüne Haarsträhne flatterte im Wind. Hunderte kampfbereite Amazonen standen hinter ihr. Zadieyek musterte die ihr gegenüberstehende goryydonische Streitmacht verächtlich. Nie würde ein Goryydoner über eine Amazone herrschen! Diese Rüpel verdienten eine Lektion, die sie nie vergessen würden.
    Zadieyek riss ihr Schwert hoch. »Amazonen zum Angriff!«
    Die beiden Heere stürmten aufeinander zu.
    Zadieyeks Klinge mähte ihre Angreifer nieder.
    Plötzlich verwandelte sich Juliane wieder in sich selbst. Sie warf sich auf den Boden und schlug einem Todesreiter das Bein ab. Blut spritzte ihr ins Gesicht, ihre Hände waren blutverschmiert. Schrill gellten seine Schreie in ihren Ohren. Juliane würgte. Als sie aufsah, erkannte sie die weißhaarige Frau aus dem Zug. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie ähnlich sich diese Frau und Zadieyek sahen. Die Frau reichte Juliane die Hand und half ihr aufzustehen.
    »Meine Tochter, endlich bist du da!« Sie strahlte eine Herzensg üte aus, die Juliane die Tränen in die Augen trieb.
    »Du bist Moira, nicht?«
    Die Frau nickte und umarmte sie.
    »Warum ich? Warum hast du mich ausgewählt?«
    Die Stimme veränderte sich, wurde rauer, tiefer. Die Umarmung fühlte sich an wie die eines Skelettes.
    »Weil du versagen wirst! Kind!«
    Eine Hand packte Juliane an der Kehle. Sie wich zurück. Nicht Moira hielt sie im Arm, sondern ein Gerippe. Der Schädel schimmerte bleich und hässlich im kalten Mondlicht. Sein knöcherner Griff um ihre Kehle verstärkte sich. Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Vergeblich versuchte sie zu entkommen. In einem letzten verzweifelten Aufbäumen stürzte sie dem Gerippe entgegen.
     
    Juliane sprang auf. Keuchend rieb sie ihren Hals. Das Lagerfeuer, das sie abends entzündet hatten, glomm noch. Am Nachthimmel stand der Vollmond und erhellte das Land mit seinem kalten Schein.
    Sie zitterte vor Angst. Was wurde nur von ihr erwartet? Dass sie sich in den Kampf stürzte wie Zadieyek? Wie eine wilde Amazone, und alles ermordete, was ihr vor die Klinge kam? Sie wollte die Goryydoner von ihrem Joch befreien, doch welchen Preis hatte das für sie? Ihre Schuldlosigkeit hatte sie bereits verloren, was würde es sie noch kosten? Ihre Seele?
    Sie musterte ihre Freunde. Wusste einer von ihnen, wie ihr zumute war? Ihre Freunde kannten kein anderes Leben. Juliane stieß man unvorbereitet nach Goryydon. Sie zog ihre Knie an und stützte ihr Kinn darauf.
    Über welche Kleinigkeiten hatte sie sich in ihrem alten Leben aufgeregt! Hier schlief sie auf der Erde, aß, was man ihr vorsetzte und wusch sich in kalten Bächen und Quellen. Sie kämpfte wie eine Amazone und führte ein Leben wie eine Zigeunerin. Ihre Eltern wären vermutlich entsetzt. Und es war ihr schnurzpiepegal. Sie hatte hier Freunde gefunden, die ihr teurer waren als ihre Eltern. Es hätte sie bekümmern müssen, doch das tat es nicht. Schon immer hatte sie sich fehl am Platz gefühlt. Gefangen in einem falschen Leben. Doch in dieser Welt fühlte sich alles

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