Der Zauberstein von Brisingamen
Kolonnaden von – für diesen Zweck – erfreulicher Symmetrie hinzogen. Der dicht mit Nadeln bedeckte Boden schluckte jeden Laut. Kein Sonnenstrahl drang durch das grüne Gewölbe: Hier herrschte auch zur Mittagszeit Dämmerung. Seit Highmost Redmanhey waren alle zum ersten Mal wieder entspannter.
«Es ist eine Wonne, mal nicht zu befürchten, dass einem irgendwelche Augen die Schulterblätter durchbohren, was?», sagte Gowther.
«Und aus der Sonne zu sein», sagte Colin. «Sie war wie ein Scheinwerfer auf uns gerichtet.»
«Ja, das Licht ist wirklich reichlich trüb hier», sagte Susan.
«Meine Augen haben bis jetzt gebraucht, sich an die Umstellung zu gewöhnen.»
«Dann muss ich immer noch was durcheinander sein», sagte Gowther, «denn für mein Gefühl wird’s dunkler und nicht heller.»
«Das stimmt», sagte Fenodyree.
Am Fuß eines kleinen Hügels hörte der Wald auf, und jetzt war alles deutlich zu sehen.
Der blaue Himmel und die strahlende Sonne waren verschwunden. Von einem Ende des Horizonts zum andern war der Himmel schwarz und gelb vor lauter dichter Wolken, die gestrandeten, aufgedunsenen Riesenrobben glichen, schlecht gelaunt und klagend, und deren ungeheure Masse zu träge schien, um sich von den Baumwipfeln zu lösen, als der raue Donner des Robben jagenden wilden Nordwindes sie sich aufbäumen und herumkollern ließ.
«Das sind nur die Vorreiter», sagte Durathror. «Bleiben wir hier in Deckung oder gehen wir weiter?»
«Weiter», sagte Fenodyree. «Solange wir noch können.»
Ein Pfad führte sie an vielen grünen Tümpeln vorbei durch das Wildgehege; an einer Planke, die über einem Grenzgraben lag, gab es schließlich keine Deckung mehr für sie. Vor ihnen lag spärlich mit Bäumen bewachsenes Land; der nächste Wald war vierhundert Meter entfernt, getrennt durch freies Gelände, das kein bisschen Schutz bot.
«Na, das war’s dann wohl», sagte Gowther lakonisch. «Und was machen wir jetzt? Auf die Nacht warten?»
Fenodyree schüttelte den Kopf. «Im Dunkeln dürfen wir hier weitab jeglicher Hilfe nicht gehen. Wir müssen bald los. Der Sturm steht kurz bevor, und wenn er seinen Höhepunkt erreicht hat, wird er sogar die Morthsippe vom Himmel fegen. Dann werden wir rübergehen.»
Sie brauchten nicht lange zu warten. Als Fenodyree zu reden aufhörte, peitschte bereits der erste Schnee vorbei, und im nächsten Moment schien die Welt zu einem Kreis von fünf Meter Durchmesser zusammengeschrumpft zu sein; Pulverschnee jagte hindurch, sie waren von einer grauen, tanzenden Mauer umgeben.
«Darin kann uns niemand erkennen!», schrie Fenodyree gegen das Heulen des Windes. «Das ist unsere Chance!»
Nachdem sie erst einmal den Schutz des Waldes verlassen hatten, traf sie der Sturm mit voller Wucht. Susan, Colin und die Zwerge wurden hin und her geworfen, während Gowther wie betäubt einhertaumelte. Mit untergehakten Armen und Gowther als Anker in der Mitte tappten sie schließlich voran.
Und der Wind beugte sie und trieb sie mit Riesenschritten direkt zu ihrem Ziel.
Es war ein ziemlich flaches Tal, voller Eichen und mit einem ziellos dahinplätschernden Bach, der den ganzen Boden zu Matsch machte. Der Wind ließ seine fünf Marionetten fallen und über den Rand purzeln, als er über die Senke hinwegfegte.
Sie landeten dicht neben einem umgestürzten Baum, der seine erdklumpenbedeckten Wurzeln in die Luft reckte und so einen natürlichen Schutz vor dem Wind bot.
«Was Besseres werden wir nicht finden», sagte Fenodyree,
«und mit einem solchen Sturm können wir es nicht aufnehmen, machen wir das Beste aus dem, was wir haben.»
Fürs Erste reichte es, dem Sturm entronnen zu sein. Der Schnee fegte vorbei, sie bekamen nur wenig ab. Aber die Kälte war grausam, und hinter den Wurzeln war nicht genug Platz, dass fünf Personen sich hätten bewegen können; sie kauerten und standen daher abwechselnd, der Atem gefror ihnen auf den Lippen, und ihre Lider waren ganz starr vor Eis.
Die Kinder zogen ihre sämtlichen Ersatzkleider an und drängten sich zusammen, um mit den Zwergen die Mäntel zu teilen. Gowther kam am schlechtesten weg. Er musste sich damit begnügen, seine Füße in den Rucksack zu stecken und sich in die klammen, kalten und nach Gummi stinkenden Segeltuchbahnen zu wickeln. Bei dieser Gelegenheit war es, dass Durathror von den Lios-Alfar und seiner Freundschaft mit Atlendor sprach.
«Aber warum sollten die Elfen überhaupt von hier fortgehen und wo sind sie hingezogen?»,
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