Der Zeitenherrscher
Simon um den Hals. Endlich konnte er seine Finger wieder aus den Hosentaschen nehmen und die Ägypterin an sich drücken. Allerdings nur sehr kurz. Salomon schüttelte ihm die Hand, und
Moon trat dicht an ihn heran und legte ihm beide Hände auf die Schultern. „Danke!“
Einzig Caspar verhielt sich merkwürdig. Er seufzte nur leise, dann ging er auf die Kajüte zu und setzte sich unter die Holztreppe, die zum Dach führte.
Zu gern wäre Simon ihm gefolgt und hätte ihn angesprochen. Doch er wurde von den anderen regelrecht belagert. Erst musste er mit ihnen sprechen, bevor er sich um Caspar kümmern konnte.
Moon ließ Simons Schultern wieder los und fragte: „Weißt du, wie lange du nicht auf dem Seelensammler gewesen bist? Ich meine, nach Menschenzeit gerechnet?“
Da brauchte Simon nicht lange nachzudenken: „Auf den Tag genau ein Jahr. Ich hab die Stunden, ja fast die Minuten gezählt, bis ich euch endlich wiedersehen konnte.“
„Ein Jahr?“, grübelte Moon. „Es kam mir länger vor. Auf diesem verfluchten Schiff weiß man nie …“
„Ein Jahr also?“, unterbrach ihn Salomon. „So hatte der Schattengreifer sehr viel Zeit, seine Macht zu vergrößern. Wir wissen nicht, wie mächtig er nun wirklich ist.“
Neferti nickte. „Wir können also nicht die möglichen Gefahren für uns einschätzen.“
„Ich bin allerdings auch gut vorbereitet“, entgegnete Simon. „Immerhin hatte ich ein ganzes Jahr Zeit, um mehr über die Ereignisse herauszufinden, bei denen ihr dem Schattengreifer begegnet seid. Und ich denke, dass wir dieses Wissen nutzen können. Das verschafft uns bestimmt einen Vorteil.“
„Ich sehe, du hast nichts von deinem Mut eingebüßt“, sagte Moon stolz. „Mit dir an der Seite können wir den Kampf aufnehmen!“
„Deinen Kampf!“, erinnerte Salomon. „Es ist genau ein Jahr her, da wollten wir die Reise in deine Zeit antreten, als der Schattengreifer uns zuvorgekommen ist. Wisst ihr noch?“
„Wie könnte ich das vergessen?“, erwiderte Moon, und mit Blick auf seine Freunde fügte er hinzu: „Wie könnte irgendjemand von uns das vergessen?“
„Dann lasst uns doch dort beginnen, wo wir aufgehört haben“, schlug Simon vor. „Lasst uns nicht länger zögern! Lasst uns die Zeitreise in Moons Heimat antreten.“ Und genau wieein Jahr zuvor im Rumpf des Schiffes, streckte Simon nun auf dem Deck eine Hand aus. „Schlagt ein! Für Moon.“
Moons Hand landete blitzschnell auf Simons. Es schien tatsächlich so, als habe er das ganze Jahr nur für diesen einen Augenblick gelebt.
Neferti, Salomon und Nin-Si schlugen ebenfalls ein. „Für Moon!“, riefen sie aus, und der Indianer strahlte vor Glück.
Nur Caspar blieb schweigend unter der Treppe sitzen und wandte den Blick von den anderen ab.
Unter Feinden
U NTER F EINDEN
Moons lautes Lachen schallte über das gesamte Schiffsdeck. „Da hätten wir uns vorhin die Mühe nicht machen müssen!“, rief er aus. „Nun können wir die Maschine wieder nach oben ziehen!“ Mit Salomon an der Seite ging er über das Schiffsdeck, um über das dicke Tau an der Backbordseite die Zeitmaschine nach oben zu befördern. Salomon lachte. „Jetzt weiß ich wieder, was mir gefehlt hat in der letzten Zeit. Endlich können wir mit deiner Hilfe, Simon, den Kampf gegen den Schattengreifer erneut aufnehmen und uns wieder füreinander starkmachen.“
„Awanyanka heißt das in meiner Sprache“, erklärte der Indianer. „Füreinander da sein. Awanyanka ahokipa – füreinander da sein, einander beschützen. Wunderbare Sprache, oder?“
Salomon nickte. „Es klingt jedes Mal, als ob du singst.“
„Meine ganze Kultur ist wie ein einziges Lied. Oh, mir fehlt mein Land. Meine Freunde. Meine Familie.“
„Vielleicht nicht mehr lange“, erwiderte Salomon und zwinkerte Moon zu, während die beiden an dem Tau zogen.
Neferti und Nin-Si standen an der offenen Bodenluke und achteten darauf, dass die Zeitmaschine unbeschadet an Deck kam.
Simon hingegen trat auf die Kajüte zu, den Blick fest auf Caspar gerichtet, der noch immer schmollend unter der Treppe saß. Während der ganzen Zeit, in der die anderen Pläne geschmiedet und sich gegenseitig motiviert hatten, hockte er dort und gab keinen Ton von sich.
Simon machte sich ernsthaft Sorgen um den Neuen. Wenngleich er ihn auch nicht einschätzen konnte, eins stand für Simon bereits jetzt fest: Caspar war ein merkwürdiger Mensch.
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Simon ihn, als er die
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