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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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hinein, sehr ergriffen und aufgewühlt. Im Halbschlaf fiel mir auf, dass in dem Buch zwar etwas von einer Krebsdiagnose, aber nichts von einer Heilung geschrieben stand. Am frühen Morgen schrieb ich Glotz eine E-Mail und gratulierte ihm zu dem Buch, aber da lebte er schon nicht mehr. Die Dame des Verlags rief mich am Vormittag an mit dem bemerkenswerten Satz: »Die Sache mit ihrem Interviewwunsch hat sich leider in eine andere Richtung entwickelt.«
    Und die Partei, von der er in seiner Autobiographie schlicht feststellte, sie liege »in Trümmern«, auch. Es findet dort, abgesehen von Aufwallungen vor Wahlen, nichts Spannendes mehr statt. Sollte jemand das ändern wollen, wird es mit einer Pflege sozialpolitischer Themen und einer Kümmerer-Attitüde nicht getan sein. Es gilt, was Lars Brandt über eine Prinz-Heinrich-Mütze seines Vaters Willy schrieb, die ihm irgendwelche Berater aufgeschwatzt hatten und die ihm nicht stand, ja sogar Unglück brachte: »Man soll sich auf Dauer eben nicht schlichter geben, als man ist.«

9 Ein Montag in Berlin
    Ein massiger Braunbär hat sich auf einen sehr großen Ball begeben. Er ist regungslos, die mächtigen Pranken umklammern den Ball an vier Punkten, wie um etwas Halt zu finden. Er wirkt stabil, aber auch ängstlich. Der Bär neben ihm steht auch auf einem Ball und hat die Zunge aus dem Maul geschoben, als würde er nachdenken. Er hat die rechte Vorderpranke ausgestreckt, als wolle er den Ball nach vorne bewegen. Diese Armbewegung des kompakten Tieres hat etwas unerwartet Graziles. So erwächst aus dem Wunsch des schweren Bären, nach vorne zu kommen, so etwas wie zirzensische Akrobatik.
    Die beiden Berliner Wappentiere aus Bronze stammen wie die gesamte Dekoration des Alten Berliner Stadthauses aus dem Beginn des 20 . Jahrhunderts, entworfen hat sie Georg Wrba. Inzwischen residiert hier die Senatsverwaltung für Inneres. Heute Abend hat die Karl-Schiller-Stiftung den Festsaal gemietet, eine dem unternehmerfreundlichen, linksliberalen Flügel der Sozialdemokratie nahestehende Vereinigung.
    Es ist ein Montagabend, der kurze Berliner Sommer droht schon wieder, sich in einen frühen Herbst zu wandeln. Die Stadt erscheint noch verwahrloster und unregulierter als sonst. Aus jedem Gebäude, das nicht bei drei auf den Bäumen war, ist noch ein weiteres Hotel oder Hostel geworden. Zwischen zwei Hotels setzt man ein weiteres Hotel, da bahnt sich eine klassische Blase an. Baustellen grenzen an Baustellen, niemand scheint das mehr im Blick, geschweige denn im Griff zu haben. Vor der »Schaustelle«, von der aus man auf die Bebauung des Schlossplatzes schauen kann, haben zwei gelangweilte Polizisten, eine Beamtin und ein Beamter, ein Trio festgenommen. Eine Frau und zwei Mädchen, eigentlich Kinder. Sie schauen fast herausfordernd, die Polizisten telefonieren oder sind sonstwie beschäftigt, es dauert. Währenddessen sehen alle Autofahrer, sehen die tausend Touristen, sehe ich die Kinder in Handschellen. Egal, was die Mädchen ausgefressen haben, es ist ein widerliches Bild. Kräfte walten so roh wie möglich, an zivilisatorischen Einhegungen verlieren die Leute zunehmend das Interesse, als sei das zu viel verlangt, zu viel Mühe.
    Für Peer Steinbrück ist es ein ganz normaler Montag im Wahlkampf 2013 : Im »Spiegel« schreiben zwei wichtige Strategen der »Grünen«, Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit, auf zwei Seiten, worin der Sinn und die Schönheit der schwarzgrünen Koalitionsoption besteht. Der Parteivorsitzende der SPD sorgt in einem Interview mit der »Bild am Sonntag« für Konfusion, als er die Steuerpläne erläutert und sagt, sollte man durch die Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung sehr viel mehr einnehmen als erwartet, werde die SPD die Steuern nicht in dem Maße erhöhen wie vorgesehen. Er fügt auch an, er selbst finde Steuern »nicht sexy«. Gabriel reagiert, als scheue er den Vorwurf, die SPD sei eine Steuererhöhungspartei. Das Ergebnis ist ein großes Durcheinander und erweckt den fatalen Eindruck, die SPD rudere im Falle der Erhöhungen zurück, bedauere den fiskalen Klartext, der doch die Essenz der ganzen Kandidatur war. Steinbrück zitiert es doch so oft als seine Geheimwaffe, er wird es machen wie der niederländische Genosse Diederik Samson: Den Leuten offen und ehrlich sagen, dass es teuer werde, mit Europa und überhaupt. Und weil die Menschen die Trickserei leid seien und durch Offenheit Vertrauen entstehe, könne es, wie in den

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