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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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gleich mal,
     was wir da gedreht haben.«
    »Von mir aus«, sagte der Kameramann und zuckte die breiten
     Schultern.
    Der Regisseur legte seinen Arm um ihn, und sie verließen
     gemeinsam das Zelt.
    »Ich will auch mitgucken«, sagte »Iwan«, die Zigarette
     ausdrückend, und stand auf.
    »Und wo du bist, da will ich sein, trullahopp, trullahopp,
     hopp, hopp!«, trällerte der »Amerikaner« undklatschte sich dazu
     einen geschickten Trommelwirbel auf die Knie.
    Sie gingen hinaus. Nach ihnen auch die Maskenbildnerinnen.
    Einzig die Szenaristin blieb im Zelt. Die Zigarette in der
     einen, den Whisky in der anderen Hand, abwechselnd rauchend und nippend, lief sie in
     dem kleinen quadratischen Raum erregt hin und her. Blieb zuletzt vor dem Kühlschrank
     stehen. Auf ihm lag der Deckel einer Duralight-Schachtel. Die Szenaristin hob ihn
     an. Ein Zuckerkreml verbarg sich darunter. Der Drehstab hatte ihn schon kräftig
     dezimiert. Die Szenaristin brach die Kuppelkreuze von der Erzengelkathedrale ab und
     warf sie in ihren Whiskybecher. Versetzte den Becher in kreiselnde Bewegung und
     trank den Inhalt mit einem Schluck.
    Pfeifend atmete sie aus und, den schmalen Handrücken vor
     den Mund gepresst, wieder ein. Warf den Becher auf den Zeltboden, trat mit dem
     Stöckel darauf.
    »Der Sieg ist unser!«
    Und im Stelzschritt verließ sie das Zelt.

[Menü]
    UNDERGROUND
    An der Station Beljajewo kämpfte sich Arina mit vielen
     anderen aus der U-Bahn und trieb im trägen Menschenstrom in Richtung Ausgang.
     Passierte die Reihe metallener Drehkreuze, stieß mit der Schulter die zerkratzte
     Glastür mit der Aufschrift Ausgang auf und
     fand sich im Fußgängertunnel wieder, der schummrig, schmutzig und kaum weniger voll
     mit Menschen war: Leute, die von der Arbeit heimkehrten, kauernde Bettler in den
     Ecken, Abgebrannte, die sich mit ihren orangenen Bechern dazwischendrängten und
     münzenklappernd ihr »Barmherzigkeit und kein Opfer!« psalmodierten; dazu die
     schmachtenden Gesänge der Nautilusse mit ihren wohlgestutzten Bärten, fliegende
     Händler mit heißen Broten und der lebenden Abendausgabe der Auferstehung, zwei betrunkene Landstreicher,
     die sich mit einem grell gekleideten und geschminkten Chinesen in den Haaren hatten,
     ein zottiger Straßenköter kläffte. Arina drängte zur Treppe, deren Stufen voller
     Müll waren – nur hinaus aus der stinkenden Unterführung! Begierig sog sie die
     frische Frühlingsluft ein.
    Oben war Moskau, der zwölfte Mai. Die Uhr über dem großen U zeigte 18:21.
    Arina zog ihr Kopftuch gerade und zupfte an ihrem
     Kattunkleid, fühlte nach, ob Geldbörse, Transportmarke und Fernspreche noch in der
     Gürteltasche steckten. Alles noch da.Arina seufzte erleichtert
     und lief eilig an den Buden und Marktständen vorbei zur Konstantin-Leontjew-Straße.
    Für ihre neunzehn Jahre sah Arina noch recht jung aus, ein
     großes, mageres Mädchen mit ruhigen, freundlichen, klugen braunen Augen im nicht
     sonderlich hübschen Gesicht.
    Mit Mühe drängte sie sich durch die Schlangen vor den vier
     üblichen Lebensmittelständen, schlug einen Bogen um die Ansammlung von Usbeken, die
     mit allerlei Armaturteilen in den Händen neben vier riesigen Containern hockten, an
     deren Frontseite das lebende Bild eines die Sonne verschlingenden Drachens nebst der
     Aufschrift Chuangwei 17 prangte, lief an der Garküche vorbei und kam an das erst unlängst
     abgefackelte fünfstöckige Gebäude der Handelsgenossenschaft Buslai. Unübersehbar an
     der rußgeschwärzten Fassade das Bekennerzeichen der Opritschniki: Hundekopf und
     Besen im roten Kreis.
    Arina lief um das Haus herum, von dem immer noch ein stark
     brandiger Geruch ausging, unter ihren Halbschuhen knackten Glasscherben und
     verkohlte Holzscheite. Nun konnte sie schon die Leontjew-Straße mit ihren
     Siebengeschossern sehen und ging darauf zu. Auf dem Hof von Nummer 3 saß ein
     graubärtiger Messerschleifer und rauchte, neben sich auf einem Dreibein die
     Schleifbank. Arina ging hin.
    »Schleifen Sie auch kleine Scheren, Väterchen?«, fragte
     sie ihn.
    »Ich schleife alles, mein schönes Kind.«
    Arina entnahm ihrer Börse eine kleine Nagelschere und
     reichte sie dem Alten. Der dreht die Schere kurz in seinen hornigen Fingern.
    »Acht Kopeken«, bestimmte er.
    »Gut«, sagte Arina und nickte.
    Der Schleifer spannte die Schere in seine Bank und
     schaltete ein. Rot blitzende Laserstrahlen fuhren zischend über die

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