Der zweite Gral
derBlüte ihres Schaffens vom Tod dahingerafft, sondern würden ihr Wissen über eine riesige Zeitspanne hinweg vervollkommnen. An dieser Stelle kamen auch die Forschungen von Thomas Briggs ins Spiel – Gedächtnismoleküle, die ungeahnte geistige Fähigkeiten bis ins hohe Alter gewährleisten sollten. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
Doch Donna musste zugeben, dass diese und dutzende weiterer, dem Allgemeinwohl dienende Aspekte von einem anderen, viel simpleren Grund in den Schatten gestellt wurden: dem puren Egoismus. Dem Wunsch, das eigene Leben nicht zu verlieren. Das war ihr Antrieb. Nichts anderes.
Doch die Faszination für das Projekt hatte die Beteiligten nicht blind gemacht für die Probleme, die es mit sich brachte und die schon damit begannen, wie Doktor Goldmann seine Forschungen vorantrieb – das Kidnappen der Versuchspersonen aus dem Sudan, die Haltung der Gefangenen in den unterirdischen Labors, die Versuche an Menschen. All das war notwendig; dennoch empfand Donna es als grausam.
Weiteren Zündstoff barg die Frage, wer künftig in den Genuss einer lebensverlängernden Behandlung kommen sollte. Grundsätzlich jeder? Dann würden sich Probleme wie Überbevölkerung, Nahrungs- und Raummangel in absehbarer Zeit dramatisch verschärfen. Und wenn die Behandlung nur wenigen vorbehalten bleiben sollte – wer käme dann dafür infrage? Nach welchen Kriterien würde man die Auswahl treffen? Würde man diejenigen bevorzugen, die Geld besaßen und einen entsprechend hohen Preis für die Behandlung zu zahlen bereit waren? Hätten die Alten ein Vorrecht vor den Jüngeren? Oder sollte man jene bevorzugen, bei denen die Wahrscheinlichkeit am größten war, dass sie der Menschheit in Zukunft den wertvollsten Dienst erweisen würden – wissenschaftliche Kapazitäten, umsichtige Politiker, Friedensstifter?
Es gibt noch sehr viel zu klären, doch Donna wusste, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, die heiklen Punkte anzusprechen. Heute waren sie zusammengekommen, um einen wissenschaftlichen Durchbruch zu würdigen.
46.
L ara Mosehni kaute nervös an der Unterlippe, als sich im Kellergang Schritte näherten und ein untersetzter Kerl mit fettigem Haar und Dreitagebart in der Tür erschien. Unter seinem Hemd, das bis zur Brust aufgeknöpft war, erkannte Lara dichtes, buschiges Haar und eine Goldkette. Der Mann sah aus wie der Archetyp eines kolumbianischen Drogenbosses.
Mit ernster Miene kam er ins Zimmer.
»Wie ich sehe, Mr Walsh, haben Sie jemanden mitgebracht«, sagte er. »Sie verärgern mich. Sie verärgern mich sogar sehr.« Sein Blick wanderte zu Lara, dann wieder zurück zu Emmet. »Sie sind mit einer so hübschen Begleiterin nach Jeddah gekommen und stellen sie mir jetzt erst vor?« Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. Die Spannung im Raum verflog. »Tut mir Leid«, sagte er. »Aber was wäre das Leben ohne ein bisschen Spaß?«
Lara war erleichtert, dass der Mann seinen Zorn nur vorgetäuscht hatte. Auch Emmet schien auf sein Schauspiel hereingefallen zu sein. Seine Gesichtszüge entspannten sich.
»Das ist Lara Mosehni«, sagte er. »Wir arbeiten zusammen. Lara, darf ich dich mit Hassan Gamoudi bekannt machen?«
»Enchanté, Madame«, sagte der Araber. »Ich bin entzückt. Und nun, da wir uns kennen, wollen wir zum geschäftlichen Teil kommen. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Sie setzten sich, und Gamoudi legte ein Couvert auf den Tisch.
»Sie haben also herausgefunden, wohin man die entführten Sudanesen verschleppt hat?«, fragte Emmet.
»Ganz recht, mein Freund. Ist alles hier drin.« Gamoudi tippte gegen den Umschlag. »Aber wo haben Sie das Geld?« Seine Stimme klang freundlich, gleichzeitig schwang jetzt eine deutliche Drohung darin mit. Der Mann war unberechenbar wie ein wildes Tier.
Emmet wartete ein paar Sekunden, ehe er antwortete: »Wir haben das Geld nicht dabei. Genau genommen haben wir zurzeit nicht einmal die Möglichkeit, an das Geld heranzukommen. Wir wurden sozusagen bestohlen.« Er erzählte von dem geplünderten Schweizer Konto. Lara beobachtete Gamoudi dabei immer wieder aus dem Augenwinkel, konnte an seinem Pokergesicht jedoch nicht ablesen, was in ihm vorging.
»Wir glauben, dass Assad nicht nur die Sudanesen entfuhrt hat, sondern auch einen Freund von uns«, erklärte Emmet. »Wenn ich mich nicht täusche, hat Assad ihm ein paar Antworten abgepresst und anschließend das Konto leer geräumt.«
»Mir kommen die Tränen«, entgegnete Gamoudi
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