Der Zweite Messias
militärischen Rang die Macht gehabt, bei einer so schwerwiegenden Anklage wie Aufwiegelung eine Hinrichtung zu befehlen? Ich dachte, das hätte nur ein Statthalter anordnen können. Jesus wurde von Pontius Pilatus verurteilt, dem Statthalter von Judäa.«
Fonzi nickte. »Ein guter Einwand. Und das hat mit der Überraschung zu tun, die ich euch versprochen habe. Der Begriff Aufwiegelung wurde ziemlich weit gefasst und schloss alles Mögliche ein, von Volksverhetzung bis hin zum Verrat. Es war nicht ungewöhnlich, dass römische Befehlshaber das Gesetz selbst in die Hand nahmen. In diesem Fall ist das Verhalten des Befehlshabers jedoch einleuchtend.«
»Wieso?«, wollte Jack wissen.
Fonzi spähte über den Brillenrand auf seine Notizen. »Ich habe gelesen, dass der Statthalter der Provinz Syria damals ein gewisser Lucius Aelius Lamia war, ein römischer Senator. Schon mal von ihm gehört?«
»Nein.«
»Okay, jetzt kommt’s. Ich habe etwas Interessantes über diesen Aelius Lamia herausgefunden. In den Berichten steht, dass er zwischen siebenundzwanzig und dreiunddreißig nach Christus nach Rom beordert wurde. Sein Posten wurde von Kaiser Tiberius nicht neu besetzt. Und das war in den letzten Jahren von Jesu Leben. Sein römischer Befehlshaber in Dora, Cassius Agrippa, hätte einen solchen Prozess und die Vollstreckung der Hinrichtung ganz sicher übernommen, weil sein Statthalter abwesend war. Das trägt zur Glaubwürdigkeit des Textes bei. Es ist auch möglich, dass Pontius Pilatus nicht einmal informiert wurde, weil sich das alles in einer anderen römischen Provinz abgespielt hat.«
»Alle Achtung, Fonzi. Ruht dein Hirn sich eigentlich nie aus?«
»Dafür ist Zeit genug, wenn ich unter der Erde liege.«
»Ich würde Ihnen gerne zwei Symbole zeigen«, meldete Lela sich zu Wort. »Könnten Sie mir sagen, ob sie eine Bedeutung haben? Es könnte Aramäisch sein, aber ich weiß es nicht.«
Lela nahm einen schwarzen Marker vom Schreibtisch, ging am Beamer vorbei zum Whiteboard und malte die beiden Symbole mit dem Stift auf:
††
Fonzi fuhr näher an das Whiteboard heran, betrachtete die Symbole eingehend und schüttelte den Kopf. »Für mich sieht das wie zwei Kreuze aus, sonst sagt es mir nichts. Tut mir leid. Warum fragen Sie?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Fonzi mit dem Rollstuhl zur Tür. »Was war das?«
»Was?«, fragte Jack.
»Ich dachte, da wäre ein Geräusch im Treppenhaus gewesen.«
Jack lauschte. »Ich habe nichts gehört. Du, Lela?«
»Nein.«
Fonzi runzelte die Stirn und drehte seinen Rollstuhl zur Tür um. »Ich schaue mal nach.«
Eine Sekunde später hörten sie einen Knall, und im Zimmer wurde es schlagartig dunkel.
101.
»Was war das?« Jack erstarrte in der Finsternis des Zimmers.
»Es war dasselbe Geräusch wie vorhin«, sagte Fonzi. »Es hat sich angehört, als wäre die Hauptsicherung herausgeflogen.«
»Vielleicht das Gewitter. Vorhin hat es geblitzt«, sagte Lela von irgendwo aus der Dunkelheit.
»Wieso läuft der Notstromgenerator dann nicht?«, überlegte Fonzi laut. »Er müsste anspringen, sobald der Strom ausfällt. Er versorgt auch die Alarmanlage. Ich muss die Sicherungen überprüfen.«
Jack stand auf. »Lass nur, ich geh schon. Hast du eine Taschenlampe?«
»Ja, im Schreibtisch. Warte mal …«, sagte Fonzi. Jack hörte, wie er über den Schreibtisch tastete; dann schaltete er den Laserpointer ein und richtete ihn auf seine Handfläche. Das Zimmer wurde in einen blassen rötlichen Schimmer getaucht. Fonzi nahm eine Stifttaschenlampe in der Schreibtischschublade und schaltete sie ein. »Schon besser.«
Lela griff in ihre Tasche, zog die Sig heraus und lud sie durch.
Fonzi blickte sie verwirrt an. »Wozu brauchen Sie die Waffe?«
»Eine Vorsichtsmaßnahme, falls es Ärger gibt.«
»Ärger? Warum, um alles in der Welt …«
»Es ist kompliziert, und jetzt ist nicht die Zeit, dir die Sache zu erklären«, unterbrach Jack ihn. »Sagen wir einfach, ich habe das Interesse verschiedener Leute auf mich gelenkt.«
»Was meinst du damit?«, fragte Fonzi.
»Es könnte sein, dass die Leute, die Professor Green ermordet und die Schriftrolle gestohlen haben, auch hinter mir her sind.«
Fonzi musterte ihn im Licht der winzigen Taschenlampe. »Du meine Güte. Ist das dein Ernst?«
»Wir haben jetzt keine Zeit für große Erklärungen. Wo ist der Sicherungskasten, Fonzi?«
Er zeigte auf die geschlossene Tür. »Unten. Den Gang hinunter, am Ende rechts die erste
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