Der Zweite Messias
entfernt, als dass Becket sein Gesicht hätte erkennen können, aber irgendwie kam er ihm bekannt vor. Er glaubte sich zu erinnern, dass der Mann ein Mitarbeiter des vatikanischen Sicherheitsdienstes war.
Becket überlegte, was er tun sollte. Von der Seitenstraße gingen links und rechts dunkle Gassen ab, in denen sich schäbige Bordelle und Sexshops reihten, und auf den Bürgersteigen wimmelte es von Menschen. Überall sah man Frauen, darunter viele Prostituierte. Einige von ihnen waren hübsch, wie nur römische Frauen es sein konnten, und trugen extrem kurze Röcke. Hier in den Seitengassen begegnete man der dunklen Seite der Stadt, der Armut und Hoffnungslosigkeit, die Männer und Frauen dazu trieben, alle nur denkbaren Sünden zu begehen.
»Möchtest du ein bisschen Spaß haben, Mister?«
John Becket drehte sich um und sah eine junge Frau mit gefärbtem schwarzen Haar, rot lackierten Fingernägeln und kränklichem Teint.
»Nein, danke, mein Kind.«
Ihr aufgesetztes Lächeln erlosch. »Dann eben nicht. Du weißt ja nicht, was dir entgeht.«
Sie ging die Straße hinunter und drehte sich wie eine verrückte Tänzerin. Becket vermutete, dass sie mit Drogen vollgepumpt war.
In diesem Augenblick sah er den Mann, der ihn verfolgte, ungefähr fünfzig Meter hinter sich. Er hatte seine Wollmütze jetzt noch tiefer in die Stirn gezogen und starrte auf den Bürgersteig, als wollte er nicht erkannt werden.
Becket sah seine Chance gekommen. Er zog den Kopf ein, huschte in eine belebte Gasse und tauchte im dunklen Herzen des Rotlichtviertels unter.
Nachdem er fünf Minuten durch die Nebengassen gelaufen war, verlangsamte er seine Schritte und warf einen Blick zurück. Von dem Mann war nichts mehr zu sehen. Becket atmete tief durch. Ihm mangelte es an Kondition. Seine Lungen brannten, und seine Beine zitterten.
»Hallo, Pater. Die Welt ist klein.«
Sein Herz setzte einen Schlag aus. Als er sich umdrehte, sah er die junge Frau mit der weißen Handtasche, die er am vergangenen Abend getroffen hatte. Maria. Sie saß ganz in der Nähe in einem fast leeren Straßencafé und rauchte eine Zigarette. Heute trug sie ein tief ausgeschnittenes blaues Kleid, das mehr von ihrem Busen enthüllte, als sittsam war, und hochhackige schwarze Lederstiefel. Ihre blutunterlaufene Wange fiel nicht mehr so auf, war aber noch immer mit einer dicken Schicht Make-up bedeckt. »Maria.«
Sie stand auf und zeigte verspielt mit dem Finger auf ihn. Es schien ihr heute besser zu gehen. »Zwei Nächte hintereinander auf Tour, Pater? Sie haben in der Kirche wohl nicht genug zu tun. Und wie ich sehe, haben Sie sich heute für Ihren Stadtbummel in Schale geworfen.«
»Wie geht es deiner Wange?«
Sie strich mit der Hand über ihr Gesicht und lächelte trotz der Verletzung. »Ganz gut. Tut mir leid wegen gestern. MeinZuhälter macht mir das Leben schwer. Ab und zu schlägt er mich, wenn ich nicht genug Geld anschaffe, um ihn glücklich zu machen. Spendieren Sie mir einen Kaffee, Pater?«
Becket schaute auf der Suche nach dem Mann in die Gasse. Sein Gefühl riet ihm, so schnell wie möglich das Weite zu suchen, aber Maria kam zu ihm und zog ihn am Arm zu ihrem Tisch. »Sie werden meine Gefühle doch nicht zwei Mal hintereinander verletzen?«
»Maria, ich …«
»Ich könnte Gesellschaft gebrauchen. Ich habe den ganzen Abend nicht mal das Geld für einen Kaffee verdient.«
Becket wusste, dass er von hier verschwinden musste und nicht vor einem Café herumlungern sollte. Was passierte, wenn der Mann, der ihn verfolgte, ihn einholte? Oder wenn ihn jemand in dem Café erkannte? Beckets Herz pochte heftig.
Maria runzelte die Stirn. »Warum kommen Sie mir so bekannt vor, Pater?«
Becket wünschte sich, der Boden unter seinen Füßen würde sich auftun und ihn verschlingen.
Maria pfiff einen Kellner herbei. »Zwei Cappuccino, Marcelo. Und bring auch zwei Campari Soda für mich und meinen neuen Freund mit.«
49.
Monsignore Sean Ryan war schweißgebadet.
Er war wie ein Jogger gekleidet – dunkelblaue Nylon-Windjacke, blaue Jogginghose und dunkle Wollmütze, die er über seinrotes Haar tief in die Stirn gezogen hatte. Der Chef des vatikanischen Sicherheitsdienstes kam sich vor wie ein drittklassiger Privatdetektiv in einem schlechten Film. Aber das war seine geringste Sorge.
Ryan hatte Probleme gehabt, mit John Becket Schritt zu halten, nachdem er ihm durch das halbe Rotlichtviertel gefolgt war. Zu seiner großen Erleichterung entdeckte Ryan Becket
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