Der zweite Tod
im Bad umzuziehen und den Schneehasenanzug in ihrer Tasche zu verstecken. Ida drückte Kjell Lindas Notizen in die Hand. Er lächelte.
»Du hast schon wieder ein neues Talent an ihr entdeckt.«
»Aber fünf Minuten später hätten wir es auch gehabt«, log Ida.
Kjell griff zu seinem Telefon und rief zu Hause an. Dort hob niemand ab. Als Kommissarstochter war Linda mühsam darauf dressiert worden, immer abzunehmen, wenn das Telefon klingelte. Dann war sie also bei Vivian oder Cissi. Oder im Atelier. Natürlich war sie da oben! Eine Minute später stand er vor der Tür im sechsten Stock. Instinktiv wollte er an der Tür horchen, aber dann besann er sich und drückte mit Anstand die Klingel. Niemand öffnete. Vorhin hatte er von der Straße einen Blick hinaufgeworfen. Die Fenster waren dunkel gewesen. Dann war sie also doch bei einer Freundin. Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer von Lindas Mobiltelefon. Jenseits der Tür begann es zu klingeln. Er schrak zusammen und presste seinen Daumen auf die rote Taste seines Telefons. Dann schlich er die knarzenden Stufen wieder hinab.
Im Arbeitszimmer warteten Ida und seine Kollegen.
»Wir müssen nur noch auf Enter drücken, dann sind wir drin«, erklärte Sofi. »Das Passwort wurde bereits akzeptiert.«
»Dann los.« Er zwang alle Konzentration auf den Bildschirm, um seine grobe Ungeschicklichkeit von eben aus seinem Kopf zu verdrängen. Über den Bildschirm rasten Programmzeilen, denen nur Sofi folgen konnte.
Sofi sank erleichtert zusammen. Die anderen schlössen daraus, dass bisher alles gut lief. »Er decodiert den ganzen Inhalt. Ist das schön!« Dann erschienen vier kurze Zeilen. Sofi beugte sich vor zum Bildschirm, als wäre der Rest nur schlecht zu sehen. Aber da war nichts zu sehen.
»Ich fürchte, das war alles.«
Sie starrten auf den Bildschirm. Dort standen zwei Adressen. Kairo und Madrid. Und zwei Termine am kommenden Freitag.
»Und der Diskos?«, fragte Kjell.
Ida legte ihren Arm um ihn und streichelte seinen Nacken. »Wer hätte gedacht, dass der Text auf dem Diskos zwei Adressen sind und dazu noch in Madrid? Aber von der Länge des Textes her könnte es stimmen.«
Sofi und Ida lachten erschöpft.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Barbro.
»Ausdrucken«, sagte Sofi und gab den Befehl ein. »Ich muss es wieder codieren. Sonst kann es jeder lesen.«
»Mich würde interessieren, was es dort zu holen gibt«, murmelte Henning.
23
Spät am Abend stand Ida zum ersten Mal im Flur seiner Wohnung. »Genau so hab ich’s mir vorgestellt«, gestand sie.
In ihrer Tasche lagen ein Buch, frische Unterwäsche und eine Zahnbürste. Sie blickte sich ehrfürchtig in der Wohnung um. Überall an den Wänden lehnten oder hingen Lindas Leinwände.
Während Kjell in der Küche Galettes mit Spinat und Spiegelei briet, unternahm sie kurze Streifzüge durch die anderen Räume. Alle Auskünfte über die letzten zehn Jahre, die Ida sich abringen ließ, deuteten auf ein erfülltes Leben und eine Reihe mieser Jobs hin.
»Hoffentlich kommt Linda bald«, sagte er beim Essen. »Dann kann ich ein wenig mit dir angeben.«
»Darfst du Frauen mitbringen?«, fragte sie.
»Weiß ich noch gar nicht.«
»Wo bleibt sie?«
»Sie ist bei Osborne.«
»Malt sie?«
»Schätze kaum, bei ausgeschaltetem Licht.«
»Was dann?«
Er kannte Ida und wusste, dass er es ihr unzweideutig erklären musste.
»Was wohl, Ida? Sie schläft mit ihm.«
Ihre Pupillen weiteten sich langsam. Sie hielt sich die Hand vor den Mund. »Das ist nicht dein Ernst! Der ist vierzig!«
»Ja«, antwortete er trocken. »Die Altersdifferenz ist höher als ihr Alter.«
»Macht sie so etwas oft?«
»Seit vorgestern macht sie das oft, ja. Sie hat sich bei Osborne zu einer Art Intensivseminar für verspätete Jungfrauen eingeschrieben.«
Ida lachte laut und lange.
»Lachst du mich aus?«
Sie nickte. »Du siehst lustig aus, wie du gerade schaust. Gefällt dir Lindas Wahl nicht?«
»Die passen doch nicht zusammen.«
»Wenn ihre Körper zusammenpassen, dann tut das der Rest auch. Sie werden schon nicht gleich heiraten. Außer, sie wird schwanger, dann schon.«
»Sie kann nicht schwanger werden. In ihrem Unterarm steckt ein Hormonstäbchen.«
Jetzt wurde Ida ernst. »So etwas hatte ich damals nicht, als du dich nächtelang in meinem Bett geräkelt hast.«
Als er nicht antwortete, stieß sie ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein.
»Ich will einfach nicht glauben, dass sie in ihrem Alter nicht zuerst
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