Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
raffte sie alle sechs Familien samt Vieh dahin. Das Dorf verödete wieder, und mit der Zeit holte sich der Wald zurück, was ihm zuvor abgerungen worden war. Das Wirtshaus jedoch blieb bestehen und wurde zehn Jahre nach dem Schwarzen Tod wieder in Betrieb genommen.
Schnell erlangte es einen zwar zweifelhaften, aber dafür weit verbreiteten Ruf, sodass es nicht nur die Einwohner der fast einen halben Tagesmarsch entfernten Ortschaften anzog, sondern auch reisende Fremde. Gerne nahm man den mühsamen Weg in Kauf, um die vorzüglichen Darbietungen, die gute Küche und den selbst gebrannten schnaps zu genießen. Seit dreihundert Jahren war das nun so, und selbst in solchen Zeiten wie diesen hatte sich kaum etwas daran geändert.
Philipp Knopf betrieb nun in siebter Generation die »Dunkle Tanne« und hatte mit seiner Frau Elisabeth eine hervorragende Köchin an der Seite, welche selbst in der Not aus den geringsten Zutaten große Leckereien zaubern konnte. Für die Unterhaltung der Gäste sorgten meist fahrende Leute. Im Moment war eine Gruppe Zigeuner da, die fröhliche Tanzmusik spielte und Zauberstücke aufführte.
Man kannte dieses Wirtshaus in einem Umkreis von zwölf Meilen. Und in jedem Heer, ob katholisch oder evangelisch, sprach man davon, wenn man die Gegend passierte. Ließ es sich einrichten, so machten gern auch Soldaten einen Abstecher hierher und blieben dabei immer friedlich. Es gab kaum Schlägereien, nie eine Plünderung, und in all den vielen Jahren hatte es auch niemals gebrannt in dieser Schenke. Das hieß jedoch nicht, dass hier nicht das eine oder andere Geschäftchen mit unrechtmäßig erworbenen Waren oder verbotenen Gütern betrieben wurde. Zweifelhafte Gestalten gab es genügend an jenem Ort, ihren finsteren Machenschaften gingen sie jedoch an anderer Stelle nach.
Hans Mergel glaubte sich urplötzlich an dieses Etablissement zu erinnern. Staunend standen sie noch auf dem Vorplatz, als ihm einfiel, dass auch er – damals, als er noch im Tilly-Heer war – einmal mit einer Handvoll Fußknechte hierher hatte gehen wollen.
»Unbedingt wollten die das. Richard Bickel, einer von den gewieftesten Glücksspielern, die ich je kennengelernt habe, war ganz wild darauf. Alles soll es hier geben, meinte er. Alles. Weiß selbst nicht mehr, was dann dazwischengekommen ist, dass wir doch nicht hierhergestiefelt sind. Und jetzt stehen wir da. Rein zufällig. Ist das nicht großartig?«
Anna war zwar nicht so begeistert wie Hans Mergel, aber dennoch heilfroh, endlich einen Unterschlupf gefunden zu haben. Und hoffentlich auch ein Bett, in das sie sich mit ihrer kranken schulter legen könnte. Unwohl war ihr nur bei dem Gedanken, jetzt in diese miefige, sicherlich von betrunkenen und geilen Kerlen angefüllte Spelunke gehen zu müssen. Denn was Männern an solchen Einkehrmöglichkeiten gefiel und ihre Augen eigentümlich von innen erstrahlen ließ, das musste einer anständigen Frau ganz und gar nicht gefallen. Und ebendieses befürchtete Anna Pippel wahrscheinlich zu Recht.
Kaum hatten Anna und Balthasar die sperrige Tür zur Schankstube geöffnet und waren durch einen nach Rauch und anderen Dünsten riechenden, wollenden Vorhang geschritten, der die Winterkälte draußen lassen sollte, da kam ihnen zunächst einmal eine Wärme entgegen, die Anna unvermittelt einer Ohnmacht nahebrachte.
Sie konnte in diesem vollkommen überheizten und stickigen Raum nicht atmen und wäre sicherlich, als ihr schwindelig wurde und sie die Bodenhaftung verlor, auf ihre kranke schulter gefallen, wenn nicht die starken Arme eines bärtigen Mannes sie aufgefangen hätten. Sofort, ohne dass sie sich den Wirtsleuten vorgestellt hatten, wurde die fast ohnmächtige Anna hinauf in eine der Gästekammern gebracht und von der freundlichen Wirtin Elisabeth Knopf aufs Fürsorglichste umhegt.
Auch Hans Mergel wurde von den zwar betrunkenen, aber dennoch oder gerade deswegen besonders gutmütigen Gesellen schleunigst in die warme stube getragen, wo ihm sofort ein Glühwein gereicht wurde. Er freute sich sehr und hub im Nu zu erzählen an.
Balthasar erhielt eine heiße Milch, obwohl ihm in der Hitze eigentlich nach einem kühlen Schluck Wasser gewesen wäre. Das jedoch wurde dem Hund gereicht, der gierig trank und dann seine treuen Augen, in Erwartung eines Stückes Essbarem, auf den gastfreundlichen Wirt richtete.
Alles in allem wurde man in der »Dunklen Tanne« ausgesprochen entgegenkommend aufgenommen. Niemand beäugte die Fremden
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