Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
sie sich nur wünschen.
Sie schaute noch eine Weile in die Ferne, stand dann auf, ging zu ihren beiden Begleitern und sagte: »Jetzt wollen wir fragen, wo die Gramshuber-Bäuerin lebt.«
XXI
Zur Gramshuberin wollts ihr? Na, dann seids aber schon zu weit g’laufen. Der ihr Hof ist weiter oben am Ufer, etwa eine Stunde Fußweg von hier. Ihr werdets schon sehen, wenn ihr dort seid, ist ein schönes Dorf, und der ihr Haus ist groß, gewaltig. Zur Gramshuberin wollen die, zur Gramshuberin…«, sagte der Mann im Fortgehen und schüttelte dabei ungläubig den Kopf.
Anna zögerte nicht lange und wendete sofort das Pferdege-spann mitsamt dem aufsitzenden Mergel. Sie hatte beschlossen, die erste Begegnung mit der Bäuerin, vor der es ihr grauste, so schnell und schmerzlos wie nur möglich hinter sich zu bringen. Und deshalb hieß es, sich beeilen und ans Ziel gelangen, bevor ihr Mut sie wieder verließ.
Es war nicht einmal eine Stunde vergangen, ehe sie das besagte Dorf erreichten, welches aus zahlreichen und sehr unterschiedlichen Bauernhäusern bestand. Allein drei Höfe von ungeheuerlicher Größe waren auf dem ersten Durchmarsch durch den Ort zu erkennen gewesen, an dessen Ende sich das Ufer des Ammersees mit seinem grün glitzernden Wasser erstreckte. Mergel bemerkte sofort, dass selbst die Fischer in diesem Dorf, entgegen der Mehrzahl ihrer Zunft, betucht zu sein schienen. Denn solch große Fischerhäuser, das musste er mit offenem Munde eingestehen, habe er, der bereits bis zur Nordund Ostsee gereist war, noch nie gesehen.
Anna ging schnurstracks auf einen Fischerbuben zu, der auf einem Steg stand und dabei war, ein Netz zusammenzulegen.
»Kannst du mir sagen, wo ich den Hof der Bäuerin Gramshuber finde?«
Der Junge Schaute sie nur groß an und zeigte dann stumm mit dem Finger nach links. schließlich fand er doch ein paar Worte und sagte: »Das erste Haus an der Wegbiegung. Die gro ße Fischerei ist genau gegenüber.«
»Ich danke dir.«
Nur wenige schritte, und sie standen vor dem Anwesen der Tante des blonden Reiters. Tatsächlich war das Haus riesig. Jedoch, und das war unübersehbar, nagte der Zahn der Zeit bereits seit Jahren an ihm, und es hatte den Anschein, als würde dem keinerlei Einhalt geboten. Es war weniger die über drei Stockwerke reichende Höhe des Hauses, die so sehr beeindruckte, vielmehr konnte man über die Länge des Gebäudes in staunen geraten. Denn es erstreckte sich über weite Teile der Dorfstraße, die, eine Kurve an seiner Vorderseite beschreibend, auch an der linken Flanke des Hauses vorüberführte. Angefügt an den riesigen Wohnbereich, befand sich ein enormer Stall, in welchem sicherlich zwei Dutzend Rinder ausreichend Platz finden würden. Im Anschluss an diesen folgte ein von hintens befahrbares Geräte-, Holz- und Heulager, welches allein fast so groß war wie das ganze Haus des ebenfalls nicht armen Bauern Schulz, für welchen Anna in Westfalen gearbeitet hatte. Rechts des schlauchartigen Hauses lag der große Hof, auf dem weitere kleine Gebäude zu finden waren, unter anderem ein eigenes Backhaus und ein separater Schweinestall. Beide jedoch augenscheinlich nicht mehr in Betrieb, so wie alles auf diesem Grundstück zu zerfallen und zuzuwuchern drohte.
Beerensträucher und Rosenstöcke waren vertrocknet, während es dem Unkraut auf wundersame Weise gelang, in einem prächtigen Grün auf allem zu wachsen, was man hätte zu anderen Zwecken gebrauchen können. Der Lehm an der Fassade des Hauses bröckelte an zahlreichen Stellen ab, es bildeten sich sogar Risse, und wenn sie nicht krumm und schief an dem ihnen zugedachten Platz hingen, so lagen die Fensterläden am Boden inmitten von kniehohem Löwenzahn und sonstigem unwillkommenen Gewächs.
Die drei Ankömmlinge staunten noch, als sie hinter sich plötzlich eine Frauenstimme vernahmen. War das die Bäuerin?
»Und ihr wollt also zu der Gramshuberin?«, fragte die wohlbeleibte Frau, die man – hätte sie kein Kleid getragen – leicht für einen Mann hätte halten können. Ihre dicken Arme forsch in die Hüften gestemmt, betrachtete sie die Fremden feindselig aus kleinen, schwarzen Augen.
»Ja«, antwortete Anna scheu.
»Und was wollt ihr von der?«
»Ihr Neffe hat uns hierhergeschickt. Wir sollen ihr helfen, auf dem Hof.«
»Na das ist auch nötig.« Und als habe sie nur auf ein Stichwort gewartet, schüttelte die Frau mit einem Mal all ihre Widerborstigkeit ab und begann den Fremden in einer enormen Lautstärke
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