Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)
gleichzeitig als Führer des Ligaheeres vollkommen überfordert war.
Doch zu Hans Mergels Ärger wurde wieder einmal nicht auf ihn gehört, und deshalb verbrachte man den Winter mit Beten. Anna in der Kirche, und die Leni Gramshuber vor ihrem Kamin sitzend. Nur dass Letztere sich wenig darum scherte, dass nun die schweden bald ihren Hof anzünden könnten. Sie murmelte ihr unaufhörliches »Ave Maria« ausschließlich zu dem Zweck, dass ihr geliebter sohn bald wieder vor ihr stehe und sie ihn in ihre immer knochiger werdenden Arme schließen kö nne.
Im Frühjahr schließlich geschah das, was auch die inbrünstigsten Gebete nicht verhindern konnten: Die Schweden erreichten den Süden. Zwar wurde Wallenstein tatsächlich zurückbeordert, doch konnte oder wollte auch er dem raschen Vormarsch der Nordmänner nicht sogleich Einhalt gebieten. Sie nahmen Nürnberg, »befreiten« Donauwörth und schlugen Tilly ein zweites und ein letztes Mal bei Rain am Lech, woraufhin der Alte einige Tage später an seinen Verletzungen starb. Mittlerweile waren die schweden in Augsburg eingezogen, wo sie – noch – mit Freuden empfangen wurden, und machten sich dann auf, um Maximilian einen Besuch in München abzustatten.
Es war nur noch eine Frage von wenigen Tagen, und sie würden auch am Ammersee erscheinen. Frauen, Kinder und Greise waren die Einzigen, die im Dorf zurückgeblieben waren, denn alle jungen Burschen und Männer waren zu schanzarbeiten in die Hauptstadt abberufen worden, und es sollte eine Zeit dauern, bis sie wieder zurückkamen.
Ende Mai war es dann so weit. Balthasar, der sich mit dem Hund außerhalb des Ortes auf den Feldern aufgehalten hatte, kam aufgeregt herbeigestürmt und erzählte, dass etwa zwei Dutzend Reiter vom Norden her in Richtung ihres Dorfes unterwegs seien. Anna mistete gerade den stall aus und beschloss, diese Arbeit nicht zu beenden. Anders sahen es die übrigen Dorfbewohner. Denn nachdem sie von aus München heimkehrenden Bauern gehört hatten, wie gesittet sich die schweden in der katholischen Regierungsstadt betragen hätten, war auch die Panik der Landbevölkerung vor den groben »Wikingern« verraucht. Allein Hans Mergel warnte, dass man darauf nichts geben könne: »Wer weiß, was die Münchener denen für ihre Zurückhaltung bezahlt haben.«
Anna war seiner Meinung, und beide sollten sie damit Recht be hal ten.
Bis in den Juli hinein verging kein Tag, an dem nicht ein Haus brannte, ein Mensch auf unglückliche Weise sein Leben lassen musste, eine Frau geschändet, ein Stall geplündert oder sonstige Garstigkeiten verübt wurden. So etwas hatte man in diesem Dorf noch nicht erfahren, zumindest nicht, soweit die Erinnerungen zurückreichten. Es fiel den Menschen, die in diesem zwar strengen, aber dafür behüteten Lande lebten, schwer, sich mit einem solchen Schicksal abzufinden. Anders als Anna, welche all dies bereits seit ihrer Jugend kannte.
Zwar wurde auch sie jäh aus ihrem Traum von einer heilen Welt gerissen, doch genauso schnell hatte sie sich wieder an den bekannten Alltag gewöhnt, der erfüllt war von einem immerwährenden Kampf ums nackte Überleben. ständig hieß es, auf der Hut zu sein, von einer Minute auf die andere alles liegen und stehen zu lassen, um sich zu verstecken. Die Fähigkeit, sich von dem, was man hart erarbeitet hatte, ohne weiteres trennen zu können, wurde ungeheuer wichtig. Tat man das nicht, so endete man im glücklichsten Fall mit einem strick um den Hals am nächsten Apfelbaum, im unglücklichsten Fall – und das kam im Dorfe vor – wurde einem die Haut in streifen vom Körper gezogen, bis man nicht nur all seine Habseligkeiten, sondern auch sein Leben hergegeben hatte.
Bei aller Grausamkeit, welche die schwedischen Truppen an den Tag legten, die wahllos marodierend und gezielt kontribuierend durch das ganze Land zogen, gab es auch Menschen, die es verstanden, sich mit ihnen zu arrangieren, oder die ihre Gegenwart sogar genossen. Einer dieser Menschen war die Magd Rosi. Lachend, singend und trinkend verbrachte sie eine ganze Woche mit einer Handvoll schwedischer Kürassiere in der Ortswirtschaft und schien ihre große Freude an der Aufmerksamkeit zu finden, die das Mannsvolk ihr entgegenbrachte. Ja, sie ging sogar so weit, dass sie eines Abends mit zweien von ihnen in die Kirche einbrach, dort den Messwein austrank und mit einem der beiden auf dem Altar einen Tanz aufführte, während der andere die erst kürzlich erworbene Orgel betätigte,
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